piwik no script img

Kolumne Zuviel-SchreibereiDas Dath-Kontinuum

Aram Lintzel
Kolumne
von Aram Lintzel

Dietmar Dath ist ein manischer Vielschreiber. Da gehen Entgleisungen wie die in "Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus" auch mal unter.

Mann an der Schreibmaschine. Bild: Tudor - Lizenz: CC-BY-SA

D ie Meldung "Ein Dietmar-Dath-Buch ist erschienen" hat in etwa so einen Neuigkeitswert wie "Lothar Matthäus mit neuer weiblicher Begleitung". Innerhalb kürzester Zeit hat Dietmar Dath schon wieder ein paar neue Bücher veröffentlicht: eine rororo-Einführung über Rosa Luxemburg, ein "politisches Bilderbuch" mit dem Titel "Deutschland macht dicht" und "Das Ende der Gleichungen?", ein Gespräch mit dem Physiker und Mathematiker Stephen Wolfram.

Sein Output ist seit Jahren beeindruckend, ein Textprojekt nach dem anderen metert er weg, wie auf Dauerbetrieb geschaltet folgt Dath dem alten Niklas-Luhmann-Credo: Wenn ich nicht arbeite, arbeite ich an etwas anderem. Aus diesem parallelen Schreiben ist das Dath-Kontinuum entstanden - ein System, das keine Grenzen zu kennen scheint und in dem alles vorkommen kann, von Death Metal über Kommunismus, Teilchenphysik bis zur Liebe zwischen zwei Menschen. Die Zeit erkannte darin kürzlich eine "totale gedankliche Öffnung". Die Welt, so könnte man meinen, ist nicht alles, was der Fall ist, die Welt ist alles, worüber der Generalist Dath schreiben kann. Und oft genug tut er das ja auf originelle und amüsante Weise.

Gleichzeitig ist unübersehbar, dass - obwohl Dath nicht nur von Fans als irrer Idiosynkrat gefeiert wird - viele seiner Positionen sich längst zu berechenbaren Provokationen verdinglicht haben. Die Schmähungen des -angeblichen - liberalen Konsenses, die Witzeleien über "postmodernen Theoriekäse" (O-Ton) und der kokett-orthodoxe Marxismus-Leninismus kommen ähnlich vorhersehbar wie die antiliberalen Verbalradikalismen eines Slavoj Zizek: man kann die Uhr danach stellen. Vor der Bundestagswahl gab er der Welt zwei Interviews, in denen er nicht nur gegen die doofe repräsentative Demokratie wetterte, sondern auch Schmunzeln von rechts einheimste, indem er über linksliberale Bürgerrechts- und Ökopolitik spottete.

Bild: privat

Aram Lintzel ist freier Publizist in Berlin.

"Können die Grünen eine Volkspartei werden?", fragte Interviewer Ulf Poschardt. "Klar, wenn die Mehrheit der Menschen erst mal in der Ökostadtverwaltung, beim Amt für Fleischverzicht oder in der Gleichstellungsbehörde für Obdachlose beschäftigt ist." Harhar, diese naiven Multikultibürgerrechtstölpel … Genauso gratis gibt es die Scherzchen über Cultural Studies und überhaupt postmoderne Theorie - auch die sind längst wiederkehrende Signale im Dath-Kontinuum. Auch in "Deutschland macht dicht" wird ein entsprechender Jargon -"Dekontextualisierung", "Heterogenität der Kulturen", "Pluralität der Bedeutungen" - höhnisch durch den Kakao gezogen.

Grundiert sind diese Posen von einem allgegenwärtigen Rundum-Materialismus. Am laufenden Meter gibt Dath dem Leser zu verstehen, dass er in etwas viel Größerem und Deftigerem drinsteckt, als es das liberale Weichei je ahnen könnte: in Horror, Hardcore-Physik und Klassenkampf. Da ist es gar nicht so erstaunlich, dass sich Daths gegen "weiche" Kulturwissenschaften ins Feld geführtes "hartes" Wissen in seiner Zeit bei der FAZ gut mit Frank Schirrmachers faktenhuberischem Techno-Futurismus verstand.

Dank des materialistischen Besserwissens weiß Dath denn auch Bescheid über die "galoppierende Verelendung" (Welt-Interview) und die "herrschende Klasse". In "Deutschland macht dicht" mündet das in einen literarisch verbrämten, Lafontaine-nahen Manichäismus: "Billige Menschen" stehen hier der "Bestie" Kapitalismus gegenüber.

All das gehorcht den Imperativen der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie, ist somit durchschaubar, oft ziemlich nervig, im Grunde aber nicht weiter schlimm. Richtig unangenehm wird es allerdings, wenn von links errungene Unterscheidungen sorglos verwischt werden.

Offenbar niemandem groß aufgefallen ist eine Entgleisung in der 2008 erschienenen Schrift "Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus", die sich wiederum aus dem materialistischen Tunnelblick erklärt. Dort heißt es in einem Abschnitt über die Würde von Asylsuchenden: "Essensgutscheine sind auf dem Stand der großen Industrie und jedem erweiterten Stand, der nach ihm kommen mag, so obszön wie Judensterne, Kastentrennung oder Brandzeichen auf Sklavenstirnen." Der Judenstern - der seine Träger für die physische Vernichtung markierte - so "obszön" wie entmündigende Essensmarken für Asylbewerber? Läuft der "Histomat" da nicht arg aus dem Ruder?

Aufgeschreckt schrieb ich damals "Wie bitte??" mit Bleistift an die Seite. Heute denke ich: Vielschreiberei tut nicht gut - vielleicht sollte der Autor das überströmende Dath-Kontinuum einfach mal unterbrechen und die Produktion ein bisschen verknappen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Aram Lintzel
Politikwissenschaftler, arbeitet seit 2022 im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vorher Referent für Kulturpolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Autor und Redakteur für verschiedene Publikationen (Spex, de:bug, Texte zur Kunst, Polar, Travel Almanac ...). Schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither gelegentlich noch taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik. Bilanz mit der Grünen Tulpe gegen taz Panter FC: 2 Siege, 0 Unentschieden, 0 Niederlagen.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • P
    Petra

    Der Vergleich Dath/Zizek ist passend. Beide treten kokett als "Pop-Leninisten" auf. Die Frage ist, warum dieses durchschaubare Überbietungs-Spiel so viel Aufmerksamkeit bewirkt?

     

    Es würde sich auch lohnen, genauer darzustellen, welches Interesse Frank Schirrmacher hatte, als er Dath von der Spex zur FAZ holte. Das geschah nach der Pleite mit der FAZ-Haupstadt-Ausgabe ("Berliner Seiten"), an der bereits viele Autoren aus dem Pop-Milieu beteiligt waren.

     

    Gefördert vom Roland Koch-Förderer Schirrmacher, konnte Dath die auflagenstarken Sprechorte FAZ und FAS nutzen, um sich auch auf dem Buchmarkt zu etablieren.

     

    Bemerkenswert ist auch, das die eigenartige Koalition der Dath-Verehrer, die von der rechten Mitte bis zur Linken reicht und dort alle sonst so verfeindeten Strömungen erfasst hat - von Junge Welt bis Jungle World und Konkret. Gremliza und Schirrmacher haben plötzlich Gemeinsamkeiten. Wie konnte es dazu kommen? Einige Antworten versucht dieses weblog zu geben:

    http://polittbuero.blog.de

  • T
    Thorkil

    Es ist manchmal viel zu einfach, einem Kritiker Neid vorzuwerfen. Manchmal greift ein solcher Vorwurf auch viel zu kurz. Manchmal. Aber nun zur Debatte: Was ist falsch an der Grundaussage dieses Textes? Noch dazu rassistisch? Hab ich immer noch nicht verstanden. Was ich verstanden habe, und das bereits seit Jahren: im politisch korrekten Universum gibt es weder Humor noch die Möglichkeit der sachlichen Auseinandersetzung. Es gibt nur: Freund oder Feind. Und die gute alte Rassismuskeule, die wirkt immer.

  • A
    artur

    ...ja ja, getroffene Hunde bellen halt. Die "Vielschreiberei" eines Autors als einhergehend mit inhaltlichen Patzern zu suggerieren ist auch nicht so wahnsinnig originell. Dieses Argument könnte man jedoch ganz gut auf gewisse tagesaktuelle Berichte und Kommentare gewisser Zeitungen wenden. Nichts für ungut

  • N
    nina

    schlechter Artikel, ohne überzeugende Gegenargumente. Ein gescheiterter Versuch, Dath vorzuführen. Was genau ist schlecht daran, die postmoderne zu hinterfragen?

  • T
    Tech

    *räusper* dann schreibt Dath meinetwegen etwas Dummes, Unpassendes, Verharmlosendes, Relativierendes (im Stile verschiedener Peta-Kampagnen, bei denen gezielt provoziert werden soll), weswegen er kritisiert werden sollte - aber etwas Rassistisches (wie es in der Überschrift angedeutet wird?) kann ich darin nicht erkennen. Eher schon in einem davor angesprochenen Schmähton über kulturelle Heterogenität - aber das wird im Artikel nur kurz gestreift, ein Textauszug fehlt.

  • S
    sten

    und wo ist jetzt der rassismus?

     

    da geißelt jemand die rassistische diskriminierung von asylbewerbern auf evt. geschmacklose/hist. falsche weise - und ihr werft ihm rassismus vor?

     

    dann müsste doch das ganze im text verteidigte multikultigutmenschentum der hort des rassisitischen bösen sein.