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Kolumne WutbürgerFür immer draußen, verdammt

Kolumne
von Isabel Lott

Laufbier, Grillabende – und Frauen, die sich draußen die Nägel feilen: Weite Teile der Bevölkerung bereiten sich auf ihre drohende Entmietung vor.

Haben die keine Küche oder warum trinken die ihr Bier draußen? Bild: dpa

W as man früher in seinem Badezimmer, der Küche oder im Schlafzimmer erledigt hat, verlagert sich immer mehr in den öffentlichen Raum. An die To-go-Becher-Horden habe ich mich ja schon gewöhnt. Aber als sich ein Pärchen, zehn U-Bahn-Stationen lang vor mir abschleckte und befummelte, dachte ich dann doch: Haben die keine Wohnung?

Inzwischen vermute ich, dass sich weite Teile der Bevölkerung unbewusst auf ihre drohende Entmietung vorbereiten. Warum sonst sollte sich eine junge Frau nachts auf der Straße ausführlich die Nägel feilen? Und dann das flächendeckende Phänomen des „Laufbiers“. Die jungen Leute ahnen instinktiv, dass es bei ihnen in absehbarer Zeit nicht mal mehr für einen Stuhl reichen wird.

Ein weiteres Indiz für meine Beobachtung ist die wachsende Begeisterung fürs Grillen. Anstatt sich zu freuen, noch eine Wohnung mit Küche und Tisch zu haben, drängt alles ins Freie. Selbst Freunde, für die Dekantiertrichter und Buttermesser in der Küchenschublade eine Selbstverständlichkeit sind, laden nur noch ans offene Feuer.

Egal ob es draußen zu nass, zu kalt oder zu heiß ist. Penetrant wird bei dieser Form des geselligen Beisammenseins die Gemütlichkeit beschworen, auch wenn es nur Stehplätze gibt.

Die befinden sich meistens in Hinterhöfen oder überfüllten Parks. Da steht man dann mit seinem Pappteller vor dem gestressten Grillmeister und wartet. Der hat entweder seine Kohlen oder sein Grillgut nicht im Griff. Die meisten Gäste dieser Veranstaltungsform sind total entspannt, warten gern etwas länger auf ihr verkohltes Fleisch. Hauptsache, sie essen unter freiem Himmel.

Die Demokratie hat ein Nachwuchsproblem. Heißt es. Dabei gibt es sie: Junge Menschen, die in eine Partei eintreten. Die sonntaz hat sechs von ihnen begleitet – bis zu ihrem ersten Wahlkampf. Die Titelgeschichte „Wer macht denn sowas?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. August 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit der Ethnologin Yasmine Musharbash über Monster, und ein Porträt über Wolfgang Neskovic, der einst aus der Linksfraktion ausbrach. Außerdem der sonntaz-Streit zur Frage: Braucht Deutschland Coffeeshops? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Da ich etwas ungeduldig bin, vor allem wenn ich Hunger habe, und dann noch darauf bestehe, dass mein Tofuwürstchen mit einer Extragabel gewendet wird, werde ich kaum noch eingeladen. Kein Drama, wäre die Saison auf den Sommer beschränkt. Aber die Aussichten auf mein Sozialleben sind eher negativ.

Der neue Trend ist „Immer grillen“, da wird Silvester abgegrillt und an Neujahr schon wieder angegrillt.

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9 Kommentare

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  • Sonst hieß es immer,die Jugend von Heute säße nur vor dem Computer, jetzt gehen sie mal raus und es ist auch nicht recht, wenn sie das Leben der Anderen so sehr belästigt, ziehen sie doch auf eine einsame Insel, jede Generation hat ihre Eigenheiten, meine, ich bin 21, hat halt ihre.

  • H
    Holzkohle

    Früher war alles besser!

    Als "die Frauen" noch keine Hosen trugen und sie gar keine Zeit für die Nagelpflege hatte...

    Und als der Lebensgefährte noch von den Eltern ausgesucht wurde, hat es öffentliches Abschlecken und Fummeln auch nicht gegeben...

    Und als die Kohle noch zum heizen und nicht zur Belästigung der ewig gestrigen benötigt wurde...

    Was war das doch für eine tolle Zeit!

     

    Wenn man/frau aber gar nicht mehr klar kommt, kann man immer noch in ein ländliches Dorf ziehen. Die Mieten sind billig (es reicht bestimmt noch für zwei Stühle UND einen Tisch!). Da gibts keine U-Bahn, lecken ist verpönt und die Welt ist noch in Ordnung. Mit etwas Glück sogar noch mit Kohleheizungen und Plumpsklos! Gesoffen wird heimlich und nicht so öffentlich und Tofu Wurst wird gar nicht erst angeboten.

     

    Also, Kopf hoch! Das Paradies existiert noch - zumindest für einige Zeitgenossen

  • G
    Gast1

    Und wo spielt sich das ab ????

  • 1
    1234

    Ja, jemanden der so miesepetrig ist wie sie, würde ich auch nicht einladen.

  • G
    Gast

    Ich würde verstehen, wenn sich die Autorin aufregt über Geruchsbelästigung oder Umweltsünden der Hobby-Griller. Also den Gestank von 30 gleichzeitig betriebenen Einweggrills auf Fußballplatzgröße - darüber, dass die Grillmeister ca. 1 Liter Spiritus zum Anzünden brauchen, um dann 3 Würstchen zu grillen - oder darüber, dass das Grillgut auf noch nicht durchgeglühten Kohlen gegart wird, welche dann am Ende halbverkokelt zusammen mit Aluschale, Einweg-Grillständer und dem ganzen anfallenden Plastikmüll entweder einfach liegengelassen werden oder aber neben(!) dem Mülleimer landen. Man könnte auch die Selbstinszenierung der urbanen Cliquen in den Fokus rücken, die (sicherlich auch als unbewusste Reaktion auf immer prekärere Zustände) ihre heile Cliquen-Welt demonstrativ zur Schau stellen. Auch die Lauf-Kaffee Unsitte könnte ein lohnendes Ziel journalistischer Schreibwut sein, wenn man sie in den richtigen Bezug stellt. Auch hier ist sicherlich der Bezug zur gesamtgesellschaftlichen Lage gegeben, da eine Art "Nach-mir-die-Sintflut" Mentalität deutlich wird und der Wunsch, zu den Besserverdienenden zu gehören, die sich den To-Go-Kaffe nicht nur leisten können sondern ihn auch brauchen, um was leisten zu können.

     

    Der Tenor der Kolumne stimmt also sicherlich, dass das irgendwie mit der zunehmenden Prekarisierung zusammenhängt. Aber so wie das geschrieben ist, ist es weder witzig noch analytisch. Die Autorin regt sich auf, dass ein Paar vor ihr "abschleckte und befummelte", ihr fällt besonders auf, dass "sich eine junge Frau nachts auf der Straße ausführlich die Nägel feilt" und besteht darauf, dass ihre "Tofuwürstchen mit einer Extragabel gewendet" werden. Vielleicht sollte sie sich mal überlegen, ob es wirklich an der mangelnden Bereitschaft zum Wenden mit der Extragabel liegt oder ob sie einfach deswegen nicht eingeladen wird, weil sie vollkommen spießig und spaßbefreit ist.

    • LL
      Lore Lay
      @Gast:

      Haha, die Autorin hat völlig echt. Es werden immer mehr Dinge in de Öffentlichkeit getragen, die eigentlich Pivatsache sind. Nägelfeilende Damen sieht man bisweilen auch schon im ÖPNV, morgens kein schöner Anblick. Demnächst wird noch im Bus der Tampon gewechselt.

      Spießig ist die Einstellung der Autorin keineswegs. Es gibt halt Menschen, die Privatlben und Öffentlichkeit auseinanderhalten können.

      • G
        Gast
        @Lore Lay:

        Hmmm. Wenn man darüber nachdenkt, was ins Privatleben und was in die Öffentlichkeit gehört, fällt mir als erstes das Telefonieren ein. Abgesehen davon, dass eine etwaige Strahlenbelastung in einem Faradayschen Käfig wie in einem Bus besonders stark wirkt, kann man sich einer akustischen Belästigung viel schlechter entziehen als einer visuellen. Die Telefoniererei mit dem Handy war IMHO übrigens einer der "Dammbrüche", die ein verstärktes Ausleben ehemals privater Dinge in der Öffentlichkeit nach sich gezogen haben.

         

        Beim Nagelfeilen kann man wegschauen, über "Happy Loving Couples" in der Öffentlichkeit hat Joe Jackson schon 1979 getextet. Ich finde schon, dass das ein wenig spießig - oder sagen wir kleinkariert klingt, wenn man den Bogen nicht weiter spannt als es die Autorin tut...

  • LL
    Lore Lay

    Super Artikel, volle Zustimmung! :-)

    Die Straße, in der ich lebe, ist an sich ruhig und liegt in einem Wohnviertel. Bei warmem Wetter, insbesondere an den Wochenenden, dient der öffentliche Raum als Erweiterung der Partyfläche innerhalb der Häuser. Das Bier wird draußen getrunken, ich komme in den Genuss, die Zigaretten derjenigen Gäste, die unterhalb meines Schlafzimmerfensters stehen, mitzuqualmen (weil der Partygastgeber das Rauchen in seiner Wohnung wohl nicht duldet), darf mir die Zoten und Handygespräche anhören und natürlich die Musi, die aus den geöffneten Fenstern kommt, damit die externen und schwerhörigen Partygäste auch was davon haben. - Gibt es eine schönere Einladung für mich? Hat man je so unendlich sozial alles geteilt? Ich liebe es und entferne auch gerne im Gegenzug der Einladung die Haufen und den Müll, der ja nun mal nach jeder Party anfällt, ob im Bad oder in der Küche ...

  • G
    Georg

    Erst wollte ich etwas schreiben. Aber diese Kolumne ist es eigentlich kaum wert kommentiert zu werden.