Kolumne Wutbürger: Halbnackt in der Fremde
Was haben Urlauber eigentlich in ihren Koffern? Am Mittelmeer tendiert der Tourist an sich zur Textilfreiheit. Das finden viele nicht gut.
W er seinen Urlaub in einem fremden Land verbringt, will ja nicht nur im Meer planschen, essen und viel schlafen, sondern auch etwas lernen. Die Reise in ein neues EU-Mitgliedsland war in dieser Hinsicht ein voller Erfolg. Mit bildungsbürgerlichen Ambitionen fuhren wir in die nächstgrößere Stadt.
Da gab es einen alten Palast zu besichtigen, der was mit den Römern zu tun haben soll, eigentlich aber als Kulisse für Souvenirstände diente. Sonnenbrillen, T-Shirts, kitschige Kühlschrankmagneten. Und unendlich viele Batiktücher
Batiktücher, die sich leider keiner der vielen Touristen umbindet. Im Gegenteil: Sobald die Sonne scheint, wollen diese viel Haut zeigen. Stets zur falschen Zeit und am falschen Ort. Mir wird ein genauer Einblick in die verschiedenen Verfallsstadien des menschlichen Körpers gewährt, die ich so genau nicht studieren wollte.
Jahrgang 1962, ist seit 2003 Fotoredakteurin der taz. Mit ihren KollegInnen aus der Fotoredaktion ist sie für die Bebilderung der Zeitung verantwortlich. Am Layouttisch prallen dann Wunsch und Wirklichkeit aufeinander. Als gute Wutbürgerin hat sie das Wort „bisschen“ aus ihrem Wortschatz gestrichen.
Die Einheimischen wollen es offensichtlich auch nicht so genau wissen und versuchen, die Leute mit Stopp-Schildern davon abzuhalten, halbnackt bei ihnen aufzukreuzen. Diese Schilder, Piktogramme mit Mann und Frau in Badebekleidung und rotem Querbalken, werden einfach ignoriert. Die meisten Urlauber haben sich nun mal dafür entschieden, ihren Urlaubsort in ein Nudistencamp zu verwandeln.
Mir war das peinlich, also bemühte ich mich in den ersten Tagen, durch beispielhaft züchtige Kleidung eine Vorbildfunktion auszuüben. Mein niedrigschwelliges Angebot an die anderen Touristen war jedoch sinnlos, zudem wurde ich trotzdem Opfer einheimischer Kollektivbestrafung: Die Angestellten in den Cafés, Restaurants und Geschäften wehren sich gegen ihre Gäste, indem sie konsequent jeglichen Blickkontakt vermeiden.
Geschlagen zog ich mich auf die Terrasse meiner Ferienwohnung zurück und machte mich erst mal frei – aber nur oben.
Eine Frage bleibt aber offen: Was packen die Urlauber in ihre gigantischen Koffer, die sie am Flughafen vom Gepäckband ziehen? Kleidung kann es nicht sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin