piwik no script img

Kolumne WutbürgerHeimlicher Kaufrausch

Kolumne
von Isabel Lott

Die Buchhandlungen sterben aus, die Innenstädte veröden. Wer bei Internetversandhändlern bestellt, sollte sich darüber nicht beschweren.

Sieht nicht schön aus, hilft aber dem Einzelhandel: Offline-Einkauf. Bild: dpa/Marc Müller

E s ist mir völlig klar, dass zwischen Erkenntnis und dem eigenen Handeln häufig eine Lücke klafft. Doch einige Lücken sind mir zu groß. In meinem Umfeld tummeln sich viele Leute, die glauben, politisch korrekt zu sein. Das hindert sie aber nicht daran, ständig bei einem großen Internetversandhändler zu bestellen. Auch wenn sie bestens über dessen fragwürdiges Geschäftsmodell und die miesen Arbeitsbedingungen informiert sind.

Gleichzeitig jammern sie über die Verödung der Innenstädte und das Sterben der kleinen Buchhandlungen. Ich kenne sogar Leute, die stolz erzählen, dass sie sich in einem Fachgeschäft beraten lassen und dann für ein paar Euro billiger die Ware im Netz bestellen.

Klar, es ist bequemer, auf dem Sofa zu sitzen und sich den Einkaufstrubel zu ersparen. Klicken, kaufen und kurz darauf kommt der schlecht bezahlte Kurier. Bis auch der wegrationalisiert und durch kleine Drohnen ersetzt wird.

Die vermeintlich politisch Korrekten verlagern den Konsumrausch auch deswegen ins Netz, weil sie dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit shoppen können. Sie müssen nicht mit peinlichen Einkaufstüten durch die Gegend laufen. Mehr noch, sie können in ihrem Offline-Leben herablassend auf die Tütenschlepper schauen und Konsumverzicht vortäuschen.

taz am wochenende

Wofür brauchen wir überhaupt noch Verlage? Die Titelgeschichte „Es wird ein Buch“ über die Zukunft der Literatur lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Dezember 2013 . Darin außerdem: Wie man spontan einen Tisch voll Freunde bewirtet – auch wenn man den Besuch vergessen hatte. Und der sonntaz-Streit: Soll man im Flugzeug telefonieren dürfen? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Mir reicht’s! In den Wochen vor Weihnachten werde ich zurückschlagen. Zwar nur mit einem kleinen Protest, aber immerhin: Pakete für die Nachbarn nehme ich nur noch an, wenn sie von der Oma oder den Eltern kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • S
    Simi

    Die Verdrängung des Einzelhandels ist da, wo ich wohne, schon längst passiert. Ich lebe im Land von Migros und Coop, zwei Einzelhandelsketten, die den kompletten Markt für so gut wie alles untereinander aufteilen. Beispiel: Migros-Supermarkt (Lebensmittel, Getränke, Spielsachen, Kleidung, Haushaltselektronik, kein Alkohol), Denner (ein Discounter und Getränkemarkt inkl. Alkohol), Migros Do-It&Garden (Baumarkt inkl Aussenbegrünung, Gärtnereibedarf), Micasa (Möbel, Einrichtung), SportXX (Sportgeräte, Kleidung), melectronics (Haushalts und Unterhaltungselektronik) und nun auch digitec (Online-Händler für Elektronik) gehören alle mehr oder weniger dem Detail-Riesen. Die anderen 50% füllt Coop mit Coop-Supermarkt, Coop Bau und Hobby, inter-discount etc. Nicht zu vergessen: beide Ketten betreiben Tankstellen, Banken, sind Reise-Anbieter und vertreiben Handy-Abbonemente.

     

    Schaut man sich bei den Büchern um, ist es Thalia, wo man hinschaut. Ich habe erst ein einziges Mal Bücher online gekauft, als ich eine alte Ausgabe eines Buches wollte, die nicht mehr erhältlich war.

    Wenn ich Klamotten oder technische Geräte online bestelle, dann einfach, weil das was ich möchte nicht verkauft wird (Vegane Stiefel z.B.), oder weil ich die monopolpreise von Migros und Coop nicht dafür zahlen möchte.

    • @Simi:

      Nochmal bitte: vegane Stiefel?

      Also in der Herstellung ganz ohne Eier und Milchprodukte? Versuchen sie mal Deichmann.

      • F
        fönixausderflasche
        @Jabba666:

        Es geht wohl um Leder. Fragt sich, ob Plastikschuhe wirklich vegan sind.

  • G
    gPfleger

    lieber Herr Weber,

    meine Gratulation - aus Ihrem Text kann ja man schon ein gehöriges Mass an reflektiertem Konsumverzicht ablesen. Und dass die meisten taz-redakteure wohl in Ballungsgebieten wohnen und entsprechend oft mit dieser Brille schreiben, ist leider auch "bekannt"... Aber Ihrer Beschreibung und Analyse kann ich mich nun wirklich nicht anschließen: Unbenommen gibt es viele Notwendigleiten, die Internethandel im Einzelfall wirklich sinnvoller sein lassen, aber - selbst wenn der Zustand des Fachhandels so katastrophal unattraktiv wäre, wie Sie es pauschal beschreiben - ist die Kausalkette nun wirklich leider eher die in obigem Artikel angedeutete!! Mein persönlicher "Lösungsansatz": Ich informiere mich ggf. im Internet und gehe dann mit diesen informationen in den Fachhhandel - oft kann man dann die eigene "Recherche" - ein großes Wort!;) - auch noch fachlich diskutieren. Und für den Notfall: Mein Buchhändler bietet inzwischen zusätzlich einen eigenen Internetversand an, zu vergleichbare Konditionen wie amazon - nur für den Kunden wohlgemerkt. Nachfragen lohnt! Und ja, auch ich wohne in der Stadt mit allen Vor- und Nachteilen und Möglichleiten, aber auch ich kaufe lieber wenniger, dafür dann aber - subjektiv - fairer. In diesem Sinne wider den Kaufrausch und ne schöne Zeit!

  • G
    GAST

    Was ist an einem Geschäftsmodell fragwürdig, das neben dem eigenen Vertrieb vielen kleinen Händlern mit eigenem Ladenlokal die Plattform, die Logistik und die Abrechnung für den eigenen Internethandel zur Verfügung stellt (Market Place)? Ich frage mich eher, wo die alternativen Angebote der lokalen und überregionalen Händler bleiben. Für die Situation der schlecht bezahlten Kuriere ist übrigens nicht besagter Internethändler verantwortlich, sondern der Aufbau eines der „besten Niedriglohnsektoren. den es in Europa gibt“ (Gerhard Schröder, World Economic Forum, Davos 2005).

  • R
    Ralph

    Die Arbeitsbedingungen bei Amazon und bei den Paketdiensten sind kein Problem des Internethandels. Die Arbeitsbedingungen sind politisch gewollt, von den Politikern und damit auch von den Wählern der Blockparteien, zu denen Frau Lott mit hunderprozentiger Sicherheit gehört. Was spricht gegen Innenstädte, die nicht mehr bloße Einkaufszentren ohne Überdachung darstellen? Genau: Nichts! Was spräche gegen ein effizientes Transportnetz das die Waren direkt zum Kunden bringt (wie es bspw. mit der Bundespost und moderner Technik möglich gewesen wäre)? Nichts! Aber so ist das nunmal mit den "Wutbürgern": lieber blinden Aktionismus propagieren (nicht mehr bei A, B, C, bio, fair und öko kaufen etc pp.) als mal einen Schritt zurück zu treten, das ganze Bild zu betrachten und ernstzunehmende Zukunftsperspektiven zu entwickeln.

  • Wer redet von den Buchhändlern?

    Versucht mal ein ordentliches Electronik Geschäft abseits der zwei großen aus dem Hause Metro zu finden.

    Das ist ein riesen Problem und ich würde es echt bedauern, wenn diese Branche nur noch durch das Internet und die großen zwei vertreten würde.

    Deswegen informiere ich mich recht ausführlich im Internet vor großen Anschaffungen im Bereich Unterhaltungselektronik und kaufe dann bei ausgesuchten kleinen Händlern und Spezialisten.

    Nur wenn ich es nirgends finden kann, vielleicht ein sehr ausgefallener Kopfhörer oä. weiche ich aufs Internet aus.

    Auch mir geht es wie dem Autor, die Verödung der cities macht mich in diesen Tagen sehr betroffen, da man mittlerweile Kassel von Mainz kaum noch unterscheiden kann.

  • M
    MaSch

    Sehr gut, machen Sie das Leben des sowieso schon völlig geplagten Austellers noch ein bisschen schwerer, für ihn ist das ja eh kein Job sondern ein Hobby, noch besser die Verwirklichung seiner gesamten Existenz. Denn meist ist nach solch einer >10 Stunden Plackerei eh keine Kraft mehr für was anderes vorhanden…

     

    Ich finde es aber gut, dass Sie so arrogant schreibt.

    Wäre alles politisch korrekt wären wir wohl doch eher wieder in China (siehe anderen Bericht). Trotzdem zeigt doch der Wutbürger das eigentliche Problem auf. Auch die neue Regierung wird nichts für die Paketausteller und andere Minijobbler/ Werkarbeiter unternehmen. Denn sonst sind die rosigen Aussichten auf zukünftige Spendensummen aus den Branchen und die Begleitung von Sinnfreien Positionen in den Aufsichtsräten dahin.

     

    Die Machtlosigkeit drängt einen dazu so Scheinheilig zu agieren wie die „Freunde“ von Frau Lott. Am Ende ist man sich selbst doch immer noch am nächsten.

     

    Schöne Feiertage und ich wette auch für Sie, wird der Paketbote ein Päckchen unter den Weihnachtsbaum legen.

  • Diesen Beitrag von Isabel Lott finde ich ziemlich arrogant. Sie kann sich anscheinend nicht vorstellen, daß es Leute mit folgender Lebenssituation und Einstellung (wie ich)gibt:

     

    - Wohnsitz auf dem Lande,kein Einzelhandel, d. h. die Verödung der Ortskerne ist bereits abgeschlossen

    - kein Auto zur Verfügung

    - Infrastruktur öffentlicher Verkehr schwach ausgebaut

    - die Beratung läßt auch in vielen Fachgeschäften zu wünschen übrig, vor allem ist sie einseitig auf Ladenhüter und im Programm befindliche Ware ausgerichtet

    - im Internet ist Produktvergleich viel effektiver

    - finanziell schwache Basis

    - deshalb gezwungen, preiswert einzukaufen: z. B. keine teuren neuen Bücher: ein gut sortiertes Angebot von gebrauchten Büchern gibt es nur im Internet

    - die Beratung im Fachhandel läßt oft zu wünschen übrig und ist einseitig nur auf Ladenhüter oder das begrenzte Sortiment ausgerichtet

    - im Internet kann ich mir schnell einen preislichen und technischen Vergleich aller infrage kommenden Produkte am Markt verschaffen und eine Entscheidung treffen - dazu kommen noch die nützlichen Kommentare von Käufern mit Produkterfahrung

     

    Wenn ich also darüber hinaus unnötige Fahrtkosten, Einkaufszeiten und damit verbundene Emissionen vermeide, dann werde ich von Isabel Lott schief angesehen. Die Situation bei den Paketdiensten und auch den Versandhändlern ist politisch verursacht und könnte bei entsprechendem Willen zum Vorteil der Arbeitnehmer verändert werden.

     

    Und im übrigen hasse ich es, mich in den Weihnachtstrubel zu stürzen und mich auf die kommerziellen und lächerlichen Gegebenheiten in Innenstädten und Einkaufszentren einzulassen. Ich genieße lieber die Ruhe und Besinnung zu Hause. Die Weihnachtsdeko von vor 15 Jahren tut es auch heute noch gut - da brauche ich nichts Neues!

     

    In diesem Sinne ein frohes Fest!

    • G
      Gast
      @Peter A. Weber:

      Emissionen werden, vermute ich, nur verlagert, indem sie jemand anders für sie produziert, und die nützlichen Kommentare von Käufern mit Produkterfahrung sind genauso wenig vertrauenswürdig wie die Beratung im Fachhandel, zu oft sind die Kommentare gefälscht, bzw. dienen lediglich Werbezwecken.

  • D
    D.J.

    Ich bin gelernter Buchhändler und habe den Beruf vor, während und sogar noch eine Weile nach Studium und Promotion ausgeübt. Dann musste unsere Mini-Buchhandlung schließen. Der Übermacht der Großen war trotz Selbstausbeutung meines Chefs nicht mehr zu widerstehen. Mittlerweile aber denke ich nicht nur, dass der Beruf des Buchhändlers ein aussterbender ist, ich halte dies sogar für fast unausweichlich. Anders als in den 80ern, teilweise in den 90ern noch, ist buchhändlerisches Spezialwissen (z.B. komplizierte Bestellvorgänge) obsolet. Die verbleibenden wenigen Großbuchhandlungen kommen weitgehend mit Nichtfachkräften aus. Ein paar Spezialbuchhandlungen werden möglicherweise in einer Nische existieren können (z.B. Antiquariate in Touristengegenden; Kinderbuchläden o.ä.). Deren Überlebenschance ist Freundlichkeit. Mit der Einstellung einiger Kollegen, die sich für etwas weit Besseres als "gewöhnliche" Händler wähnen, ist es jedenfalls vorbei.

    • G
      gast
      @D.J.:

      in meiner Stadt war bis vor 2 Monaten ein Buchladen, den es nicht mehr gibt. Es gab noch 2 kleinere Buchläden, auch die sind verschwunden. Warum, weil Bücher heute online bestellt werden, die Leute keine Lust und keine Zeit mehr haben sich Bücher auszusuchen.

       

      Nun ist man gezwungen im Internet zu bestellen, um überhaupt noch Bücher zu bekommen.

    • L
      Leo
      @D.J.:

      Ich teile Ihre Meinung. Das "Shopping" wird sich immer mehr aufs Internetbestellen verlagern, egal, in welchem Bereich.

       

      Was Bücher angeht - aus Sicht eines Bücherwurms:

       

      es gibt keine Buchhandlungen mehr, in denen ich durch "Schmökern" dort neue Impulse erhalte. Das war mal anders. Heute findet man dort überwiegend gedruckten Mist.

       

      Die Bücher, die ich kaufen möchte, muss diese Art "Buchhandlungen" ohnehin immer erst bestellen - was ich auch gleich selber tun kann und dann eben auch noch direkt geliefert bekomme.

       

      Die kleinen Läden, die neben oder statt gedrucktem Mist auch noch Bücher führen, können sich nicht halten und machen zu. Manche leisten sich den Luxus neben einer Spezialisierung, die trägt.

       

      Also bestelle ich im Internet.