Kolumne Wortklauberei: Die Fährnisse des Briefesortierens
Ist es schon entfremdete Arbeit, wenn man statt Pizza essen Kolumnen schreiben muss?
W enn Sie wüssten, unter welchen Entbehrungen diese Kolumne schon wieder entstanden ist! Würden Sie sie dann mehr wertschätzen? Ich bin mir nicht sicher. Ich war in letzter Zeit öfter mal auf dem Postamt, und wie Sie vielleicht wissen, geht es da nicht ganz so lustig zu wie in den Tom©-Comics. Der blanke Ennui entfremdeter Arbeit blickt einem da bisweilen entgegen aus den toten Augen der Angestellten.
Eigentlich verwunderlich, möchte man doch meinen: Ein Beruf, in dem man ständig mit Menschen zu tun hat, ihnen bei der Lösung von Problemen behilflich ist, ihnen im wahrsten Sinn des Wortes etwas abnimmt oder gibt, bei dem sich über den Schalter hinweg auch mal ein kurzer freundlich-zwangloser Plausch ergibt - ist das nicht eigentlich ganz okay?
Vorgestern ging ich in eine Filiale in München, bei mir eine noch unzureichend verklebte Büchersendung. Einen Streifen Packband, so meine Annahme, würde mir der Postler ja wohl schnell und unbürokratisch zur Verfügung stellen können. Die Frau am Schalter klärte mich in kaltem Beamtenton auf, "eigentlich" müssten Pakete "in versandfertigem Zustand" gebracht werden. Sie gab mir einen Streifen Klebeband, nachdem ich angemessen untertänig darum gebeten hatte. Er war viel zu kurz.
JOSEF WINKLER lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.
Während sie den wie Sau aussehenden Umschlag frankierte, kam mir der Gedanke, ihn mit ein paar Klammern aus dem Tacker, der vor meiner Nase auf dem Schalter stand, noch etwas versandfertiger zu gestalten. Ich griff nach dem Tacker und erbot mich - der Blick der Postlerin wurde noch kälter, als sie mir nun erläuterte, Metallklammern seien an Postversandstücken per se tabu und welche Art von Regressforderungen auf mich zukämen, wenn eine derart ordnungswidrig vertackerte Sendung Sortiermaschinen beschädige oder sich gar ein Angestellter beim händischen Sortieren daran reiße und sich eine Blutvergiftung (!) zuzöge, und ich möchte bitte jetzt den Tacker zurücklegen. Den letzten Satz sagte sie wie ein Polizeibeamter bei der letzten Aufforderung an einen Irren, das Messer wegzulegen, bevor er gezwungen wäre zu schießen. Ich ging.
Die Frau hatte mich nach Kräften spüren lassen, wie sehr sie diesen Job und alles, was er ihn ihre Gasse schwemmte, hasste. Und trotzdem freute ich mich nicht mehr darüber als normal, dass sie mein Päckchen trotzdem angenommen hatte. Im Gegenteil.
Weshalb ich jetzt tatsächlich wenig Effekt in Bezug auf die Wertschätzung dieser Kolumne erwarte, wenn ich Ihnen sage, dass ich sie schrieb, daheim geblieben im Kämmerlein, während meine ganze Familie, samt Baby, Oma, Berlinbesuch und pipapo, an einem strahlenden Frühlingstag zum Pizzaessen an den Chiemsee fuhr. In eine Pizzeria übrigens, die trotz ihrer einmaligen und sicher von Legionen von Pizzeriainhabern beneideten Lage direkt am Ufer des Sees, mit atemberaubendem Blick auf das Bayerische Meer und die Alpen dahinter, einfach stumpf "Al Dente" heißt. Was gleichzeitig bestürzend fantasielos und von anheimelndem Understatement ist. Aber das ist eine andere Geschichte.
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