Kolumne Wortklauberei: Bodenlos erbost
Jetzt haben wir den Salat: Daniel Bahr ist stinksauer! Und die Pharma-Mafia zittert. Oder auch nicht.
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W arum soll man im Krankenhaus keine gute Figur machen?“, fragt die Anzeige einer Versicherungsgesellschaft, und wir sehen einen edellockigen Ivy-League-Typen mit lässig geknöpftem Cardigan und Halstuch auf einem Krankenbett fläzen, das unter dem gepamperten Privatpatientenmodel freilich eher wirkt wie ein überdesigntes Must-have-Accessoire für den S&M-Hobbykeller in der Grünwalder Villa.
Ja, aber warum denn nun im Krankenhaus keine gute Figur machen? Gut: Wenn einer mit Thoraxschnitt in der künstlichen Beatmung rumliegt oder dem anderen gerade der halbe Dünndarm rausoperiert worden ist, fällt das vielleicht ein bisschen schwerer, als wenn man sich zum Nikolaus eine Arschnasenverkleinerung gegönnt hat. Aber muss man sich denn wirklich so gehen lassen, mit dem ganzen Tropfrumgeschiebe und Flurgeschlurfe und Rollstuhlgetue und Urinflaschengepritschel? Opfer und Vollpatienten, ist doch wahr.
Apropos – schlimm, gell: Im Bundesgesundheitsministerium hat jahrelang ein Mitarbeiter vertrauliche Daten geklaut und an einen Apotheker-Lobbyisten vercheckt. Von Gesundheitsminister Daniel Bahr hört man, er sei „stinksauer“ über „solche kriminelle Energie“, ja, auch Begriffe wie „erbost“ und „verärgert“ sind gefallen, und da wird der Pharma-Mafia jetzt natürlich ordentlich die Düse gehen. Auweh, der Bahr ist sauer! Da werden sie nervös – am Ende gibt’s in der nächsten Legislaturperiode dann keine hinterhergeschmissenen Steuergeschenke?
Gut, ich bin jetzt wohl einfach ein leichter erregbarer Typ als der Bundesgesundheitsminister, aber „stinksauer“ bin ich, wenn mir einer den Außenspiegel wegfährt und keine Telefonnummer unter den Scheibenwischer steckt. Erbost und verärgert reagiere ich zum Beispiel meist, wenn ich FDP-Politiker über irgendetwas reden höre (am allerschlimmsten übrigens unser bayerischer Wirtschaftsminister Martin Zeil, eine absolut perfide Mischung aus evil Neoliberalem und dem unfassbar alleseinschläferndsten Trantütenlaberonkel, den sich je ein krankes Schöpferhirn ausgedacht hat; ich erbose da EXTREM bei dem).
Wie es sich anfühlt, wenn jemand die Gesetzentwürfe aus meinem Ministerium schon mal an davon Betroffene rumreicht, bevor ich selber reinlesen durfte, weiß ich nicht, weil ich kein Minister bin – was, wie sich jetzt einmal mehr zeigt, ganz gut ist, weil ich für den Job wohl einfach viel zu unausgeglichen bin. Bei Abgabe dieser Kolumne war noch nicht verlautet, ob Philipp Rösler auch irgendwie sauer und/oder erbost ist; ich stell’s mir jedenfalls total niedlich vor.
Und noch mal apropos Gesetzentwurf: Drücken Sie doch vielleicht anlässlich der Abstimmung über das kurios benamte „Beschneidungsgesetz“ mit mir die Daumen, dass die Woche vergehen möge, ohne dass es irgendein Radioredakteur für nötig hält, das Thema noch einmal en gros in einer Call-in-Sendung von den werten Hörern diskutieren zu lassen. Ich für mein Teil habe da jetzt im Namen der freien Meinungsäußerung und des vorgeblichen Kinderschutzes genug angebräuntes Idiotengelaber gehört. Vielleicht kann man’s jetzt gut sein lassen?
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