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Kolumne Wechseljahr 2008Sex vor der Ehe bleibt tabu

Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation.

Nun ists offiziell: Der nächste Präsident der USA wird kein konservativer Evangelikaler sein. Eine Ära geht zu Ende. Baptistenpfarrer Mike Huckabee hat endlich das Handtuch geworfen - sich dem statistischen Faktum beugend, dass John McCain in den Vorwahlen jene 1.191 Delegierten angesammelt hat, die nötig sind, um die Nominierung der Republikanischen Partei zu gewinnen. Konservative Evangelikale werden McCain als republikanischen Kandidaten - wie eine führende christliche Zeitung es ausdrückt - "ertragen müssen".

Zugleich ist es aber völlig unklar, ob rechtstendierende Christen - obwohl sie diesen Kampf ums Weiße Haus verloren haben - tatsächlich den viel größeren Krieg verloren haben: den um "kulturelle Werte". Die Mainstream-Medien sind in diesen Tagen sehr damit beschäftigt, den Zuschauern und Lesern beizubringen, dass die religiöse Rechte am Zersplittern und ihre Macht am Abklingen ist. Aber dieses Fazit stimmt nur partiell.

Welche Veränderungen dürfen wir erwarten, wenn ein Nicht-Evangelikaler - wer immer diese Person ist und welcher Partei sie oder er auch angehört - ab nächsten Januar das Präsidentenamt antritt? Werden die Abstinenzappelle in den öffentlichen Schulen in USA weniger wichtig werden? Das erscheint zweifelhaft, seit auch säkulare Meinungsmacher die gleiche Lehre verbreiten - infolge eines wachsenden Konsenses, dass vorehelicher Sex das "Selbstwertgefühl" eines Menschen vermindere. Wird das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wieder gelockert? Auch unwahrscheinlich, seit die zwei neuen Richter am höchsten Gerichtshof Abtreibungsgegner sind.

Und wie steht es mit dem Themenkomplex Reglementierung von Waffenbesitz? Kein Kandidat - Demokrat oder Republikaner - wagt es, die Waffenlobby zu ärgern. In einer Zeit, in der Massenschießereien fast wöchentlich in den Nachrichten stehen - seit Dezember 2007 gab es Vorfälle mit mehreren Toten in Einkaufszentren und Colleges in Nebraska, Colorado, Illinois, Maryland, Kalifornien, Missouri, Louisiana, Florida und Tennessee -, haben die Präsidentschaftskandidaten dazu kaum etwas zu sagen.

Kein evangelikales Thema? Im Gegenteil. Siehe Karen S. Johnson, Senatorin in Arizona (McCains Heimatstaat) und Mitglied mehrerer evangelikaler Lobbygruppen. Johnson ist für: eine niedrigere Steuerlast; "schnellere Umsetzung der Todesstrafe"; das "kostbare Recht auf Leben der Ungeborenen"; und "resoluten Widerstand gegen die homosexuelle Agenda". Just weil sie die jüngste Welle von Schießereien so alarmierend findet, hat Johnson diese Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt: Versteckte Waffen sollen nun auch in öffentlichen Anstalten, inklusive Colleges, von Bürgern getragen werden können. (Johnson trägt selber eine Pistole). Ihr Wunsch, dass dieses Recht auch für Kindergärten gelten solle, wurde von ihren Kollegen nicht unterstützt. Aber sonst hat der Gesetzentwurf gute Chancen; in 14 weiteren Bundesstaaten gibt es nun ähnliche Überlegungen.

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