Kolumne Unbeliebt: Der Mann mit den Mails
Gnadenlos verlässlich versorgte mich ein Aktivist mit Infomails zum Protest gegen S 21. Bei der Arbeit. In der Elternzeit. Sogar im Urlaub. Ein Jahr lang. Dann traf ich ihn.
D er Aktivist Matthias von Herrmann arbeitet akribisch. Vor jeder Aktion trommelt er die Presse zusammen und hinterher doppelt er mit einer Erfolgsmail nach. Er schickt Mails am Abend und in aller Herrgottsfrüh, er gibt seine Handynummer an und wenn nicht, so liegt das nur daran, dass er live aus einem laufenden Gerichtsverfahren informiert.
Seine erste Mail habe ich am 16. April 2010 bekommen: Die Künstlerin Kornelia Pfütze zeige eine Installation gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Zwei Tage später kündigte er ein öffentliches Training des zivilen Ungehorsams an: "Parkschützer trainieren den Ernstfall."
Eigentlich bitte ich Pressesprecher, in deren Verteiler ich geraten bin, mich umgehend zu streichen. Die Angebote für hochwertige Armbanduhren reichen mir. Aber hier? Der Mann gehört offensichtlich zu den Gegnern von Stuttgart 21. Aus deren Reihen schon häufiger Gemecker gekommen war, unsere Berichte seien zu selten, zu klein, zu ungenau, zu unsensibel. Und das von der taz!
Also lieber nicht abbestellen und in Stuttgart unbeliebt werden. Ich konnte ja auch löschen. "Kein Protzbahnhof", mailte er. Anderswo gibts auch Probleme, dachte ich. "Widerstand stärkt sich", mailte er. Ganz schön spät, du Selbstdarsteller. Delete, delete, delete.
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Es wurde Sommer, ich nahm die Elternzeit und richtete eine automatische Abwesenheitsmitteilung ein. Wenn ich meine Mails abrief, war fast nichts mehr im Briefkasten. Außer Elektropost von Matthias von Herrmann. Doch abbestellen? taz-Redakteur verweigert Bürgerinformation?
Ich hütete mein Kind. "Stuttgart 21 – Die Parkschützer widersetzen sich." Ich flog in die USA. "Mahnwache: Kein Abriss für ein gescheitertes Projekt". "Alarm am Hauptbahnhof Stuttgart!", las ich in den Rocky Mountains.
"Regierung steht, Grube baut, wir sitzen!"
Im Herbst wusste ich, dass ich ihn und sein Thema unterschätzt hatte. Der Winter kam ("Pfefferkuchen statt Pfefferspray"), und manchmal, wenn er tagelang schwieg, fragte ich mich, was los ist. Ich wollte jetzt wissen, wie es weitergeht. Einmal, als Kollegen murrten, die S-21-Gegner sollten mit der Schlichtung zufrieden sein, rief ich: "Jemand muss doch Verhandlungsmasse schaffen!" Und im April, fast genau ein Jahr nach seiner ersten Mail, tat ich es. Reply. Ob er mal in Berlin sei?
In einer Halle in Berlin-Wedding bei einer Tagung von Stadtentwicklern steht ein schmaler junger Mann im Jeanshemd etwas abseits. Vor ihm sein Laptop. Er tippt ("Regierung steht, Grube baut, wir sitzen!").
Er erzählt, wie er bei Greenpeace gelernt hat, auf unvertrautes Gelände zu gehen. Wie er in Stade auf die Kuppel kletterte, in Philippsburg auf den Kühlturm und im Schweizer Jura auf eine Sondermülldeponie. Aktionen, die man ins Bild bringen kann. Ich muss das aus ihm herausfragen. Er inszeniert den Protest. Nicht sich. Der Mann mit der gmx-Adresse hat mit ein paar anderen aus dem erfolglosen mäkeligen Widerstand ein Spektakel gemacht, das wirkte.
Matthias von Herrmann sagt, dass er arbeitslos war, als sich Anfang 2010 eine Hand voll Leute zusammentaten gegen S 21. Dass er erst BWL studierte, dann umstieg auf VWL, Politik und Chemie, weil ihm ein Professor riet, Politik zu machen. Mein verstorbener Onkel, finden wir heraus.
Wie schön, dass ich mich nicht getraut habe, seine Mails abzubestellen! Er schaut mich verdutzt an. "Wieso das? Wer bei mir abbestellt, fliegt einfach raus."
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