piwik no script img

Kolumne Über Ball und die WeltBananen für Steuerzahler

Martin Krauss
Kolumne
von Martin Krauss

"Fukushima", "Jude", "Schwuler" und Bananenwürfe. Solche Diffamierungen sind in Fußballstadien keine Seltenheit.

Fukushima, Fukushima" haben die Anhänger des belgischen Erstligisten Beerschot AC aus Antwerpen beim Heimspiel gegen den Lierse SK gerufen. Das Skandieren war ein Skandal. Schließlich spielt bei Lierse Japans Nationaltorwart Eiji Kawashima. Und der empfand es als Schmähung, seinen sportlichen Auftritt mit dem Ort der Katastrophe zu verbinden. Doch Kawashima reagierte nicht eingeschnappt, sondern ging auf die Beerschot-Fans zu, um mit ihnen zu reden. Die warfen Bierbecher in seine Richtung. Als er später in der Kabine saß, sollen Tränen geflossen sein.

Was die Fans des vielleicht unter seinem alten Namen Germinal Beerschot besser bekannten AC anstellten, war dies: Sie bedienten sich einer einfachen Symbolik, die ihren Sinn erst in einem bestimmten Ambiente entfaltet. Rufen etwa Anti-AKW-Demonstranten das Wort "Fukushima", so hat das eine andere Bedeutung, als wenn dies in einem Stadion passiert.

Gerade der Fußball bietet extremen Minimalismus an, auch sprachlicher Natur: "Club" ist Nürnberg, "FC" Köln und "FCK" Kaiserslautern. Wer sich im Bereich des Fußballs bewegt, versteht das unmittelbar; wer mit den kickerischen Gepflogenheiten nicht vertraut ist, bringt da schon mal gerne was durcheinander. Die Bereitschaft zum Minimalismus entspringt dem, was gerne Kreativität der Fans genannt wird: Die mag mitunter kritisch und originell sein, etwa wenn St.-Pauli-Fans als "Arbeitslose, Arbeitslose" beschimpft werden - und mit "Steuerzahler, Steuerzahler" antworten.

Aber die Kreativität ist nicht immer lustig, nicht immer kritisch, sondern oft schlimm. Wenn Fußballfans "Jude" rufen, meinen sie das verächtlich: Im harmlosen Wort steckt das ganze Ensemble antisemitischer Schmähungen. Auch das ist ein Beispiel für Minimalismus: Schiedsrichtern wird mit diesem kurzen Wort Käuflichkeit unterstellt. Ähnlich das Wort "schwul": Nicht um die simple Benennung eines homosexuellen Mannes geht es, sondern alle negativen Konnotationen werden durch das eine Wort abgerufen: schwächlich, unmännlich, ungeeignet für den Sport der harten Kerle. Sogar ohne Worte kommt die rassistische Schmähung aus, wo nur eine Banane geworfen und eventuell zusätzlich noch "Uhuhuhuhuh" gerufen wird: wild, aus dem Urwald kommend, nicht zum Menschengeschlecht gehörend - das ist gemeint, und das versteht jeder.

Cornelia Ogiolda

MARTIN KRAUSS ist Autor der taz.

Keine "Schönwetterfans"

All das ist schlimm, aber - es gehört zum Fußball. Es ist eine traurige Wahrheit: Die Fans, die voller Erregung in Richtung Schiedsrichter "Jude" rufen, sind es, die sonst dafür gelobt werden, keine "Schönwetterfans" zu sein. Aber warum ist das so? Warum sind Begriffe wie "Fukushima", "Jude" oder "Schwuler", wenn man sie im Stadion hört, automatisch diffamierend? Warum hat Beerschot AC 24.000 Euro Strafe zahlen müssen? Wofür hat sich dessen Präsident beim japanischen Botschafter in Belgien entschuldigt?

Weil es der Fußball ist. Der ist eine Sprache, in der weltweit kommuniziert wird und in die auf minimalistischste Weise Wörter, Abkürzungen, Gesten oder Geräusche integriert werden. Kinder wissen das: Sie kommunizieren, indem sie kicken. Man glaubt ihnen nur nicht, weil sie keine Theorie der Kommunikation hinterherschieben, um zu beweisen, dass sie sich wirklich gerade mit anderen Kindern unterhalten haben.

Als sehr einfache Sprache ist der Fußball Einfallstor für alles: Liebe und Hass, Freiheit und Unterdrückung, das Gute und das Böse. Wer also sagt, "Fukushima" zu brüllen hätte nichts mit Fußball zu tun, der irrt. Und wer daran arbeitet, dass Worte wie "Schwuler" oder "Jude" künftig auch im Fußballstadion nur deskriptiv gebraucht werden, ist nicht automatisch ein guter Fan.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

2 Kommentare

 / 
  • RB
    Ralf Becker

    Schlimmer noch: sie haben nicht "Fukushima, Fukushima", sondern "Kawashima, Fukushima!" gegrölt.

  • QF
    Queer Football Fanclubs

    Hallo Herr Krauss,

    Sie sprechen uns aus der Seele mit Ihrem kommentar. Gerade das Subtile ist immer so schwer zu fassen und anderen gegenüber glaubhaft als empfundene Homophobie, Sexismus oder Rassismus zu erklären.

    Wir haben bei unserer letzten Tagung lange und kontrovers darüber diskutiert, ob z. B. die Worte von Roman Weidenfeller zu seiner Nicht- Berücksichtigung für die Nationalelf nun homophob waren oder einfach ein Sachverhalt ohne Wertung. Schade, dass ich Ihren Artikel nicht vorher lesen konnte; er hätte mir gute Argumente geliefert, dass die Aussagen von Herr Weidenfeller homophob waren.

    Beste Grüße

    QFF- schwul-lesbisches Netzwerk europäischer Fußballfanklubs