Kolumne Über Ball und die Welt: Die Revolution ist auch rund
Trotz der Katastrophe in Port Said wird in Ägypten bald wieder Fussball gespielt. Während einige Aktive aufhören, macht der US-Natonalcoach Bob Bradley weiter.
V ielleicht wird dieser Satz zwei Wochen oder zwei Monate zu früh geschrieben, aber: Auch in Ägypten wird der Ball bald wieder getreten werden. Eine Gesellschaft ohne Fußball ist nicht vorstellbar, auch wenn sich, wie vergangene Woche in Port Said, eine schreckliche Katastrophe ereignet hat. Der Fußball in Ägypten geht also weiter, aber ohne die 74 toten Fans.
Er geht weiter ohne Samir Zaher, den nun vom Militärrat geschassten Präsidenten des ägyptischen Fußballverbandes. Und er geht weiter ohne einige Spieler des Klubs al-Ahly, die sich eine Fortsetzung ihres an sich doch schönen Berufs nach diesem Massaker nicht mehr vorstellen können.
Mohamed Aboutrika etwa, offensiver Mittelfeldspieler, der auch schon mal beim Bundesligisten VfL Wolfsburg im Gespräch war, erklärte nun bereits mit 33 Jahren seinen Rücktritt. Vor vier Jahren hatte sich Aboutrika noch als politischer und oppositioneller Kopf inszenieren wollen, als er beim African Cup of Nations die T-Shirt-Beschriftung "Sympathize with Gaza" unter seinem Trikot zeigte.
Bob Bradley ist da anders. Der Amerikaner wird weiterhin in Ägypten arbeiten. Seit fünf Monaten ist er Nationaltrainer, und bis Jürgen Klinsmann kam, hatte er die Auswahl der USA betreut. Am Tag nach der Katastrophe von Port Said nahmen Bradley und seine Frau Lindsay selbstverständlich an dem Protestmarsch der Fans teil.
ist freier Autor der taz, mehr Infos auf www.martinkrauss.de.
Die bloße Präsenz als weißer Amerikaner
Dass einer wie Aboutrika sich zurückzieht, während Bradley sich mit den Fans solidarisiert, ist bedeutend. Schon letzten März, kurz nach der Revolution, hatten Al-Ahly-Ultras die Spieler deutlich kritisiert: "Wir sind euch überall hin gefolgt, aber in den schweren Zeiten, da haben wir euch vermisst!", hieß es auf einem Transparent.
Bob Bradley ist nach der Katastrophe auf viele Fans und Spieler zugegangen, hat mit ihnen gesprochen und den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen. "Jeder sieht doch, dass das mehr ist als bloße Fangewalt bei einem Fußballspiel", sagte Bradley der Washington Post.
Schon mit seiner bloßen Präsenz als weißer Amerikaner bei den Protesten demonstriert er, dass der immer wieder aufflammende Antiamerikanismus ein Fehler ist. Auch das ist bedeutend, schließlich schleimen sich an die ja keinesfalls einheitliche Protestbewegung auch islamistische Kräfte wie die Muslimbrüder oder die Salafisten an.
Um das Massaker von Port Said ranken sich viele Verschwörungstheorien: Die Muslimbrüder glauben an einen "versteckten Plan", den es zum Abschlachten der Fans gegeben habe. Der trotzkistische Socialist Worker klammert sich an die Vorstellung, die Katastrophe sei "von dem Militärregime angeordnet" worden. Im Grunde haben die Fußballfans die Revolution vor einem Jahr wieder auf Anfang gestellt.
Schulter an Schulter auf dem Trainingsplatz
"Die Ultras dazugebracht zu haben, sich zusammenzuschließen, dürfte der schwierigste Teil gewesen sein, als Mubarak gestürzt wurde", berichtete ein Ultra vor einem Jahr. "Eigentlich hassen die sich und spucken aus, wenn jemand den Namen eines anderen Klubs ausspricht." Doch damals waren die Ultras Schulter an Schulter auf dem Tahrirplatz, und nun, nach dem Port-Said-Massaker, sind sie wieder vereint: in Trauer und im Kampf.
Doch die Fans müssen sich weiteren Zumutungen erwehren: etwa, dass der Militärrat mit seinem ganzen Repressionsapparat noch mehr Macht über die öffentlichen Räume, also auch über die Stadien, übernimmt. Oder dass sich die Muslimbrüder und die Salafisten der schönen und sehr säkularen Sache des Fußballs bemächtigen.
Bob Bradley hat die Bedeutung des Fußballs in Ägypten voll und ganz begriffen: "Es gibt keinen Zweifel, dass die Revolution zum Fußball gehört." Leicht andere Schlüsse hat Viola von Cramon, sportpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag, aus der Katastrophe von Port Said gezogen.
Sie resümierte: Künftig "müssen insbesondere sportliche Ereignisse weitgehend getrennt bleiben von der Politik". Irgendwie ist es doch besser, dass sich um das künftige Ägypten die Ultras und auch ein Trainer wie Bob Bradley kümmern.
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