Kolumne Trends und Demut: Heizung aus, Hochzeit an
Das Vermählungsereignis des Jahrzehnts steht an. Gleichzeitig werden die Briten spüren, dass die Kürzungen der konservativen Regierung wehtun.
W enn Kate und William am Freitag in zehn Tagen ihren großen Tag zelebrieren, wird jemandem aus der jubelnden Menge vielleicht gerade die Heizung abgedreht. Einem anderen, der mit Kind auf dem Arm das britische Fähnchen wedelt, winkt die Kündigung. Wieder einer weiter vorne im euphorischen Gedrängel um den Buckingham Palace wird diesen Monat seine Miete nicht bezahlen können.
Und doch werden sie lachen und jubeln und es dem millionenschweren Paar, das hier zusammenkommt, von Herzen gönnen. Soll doch der Rest der Welt in sich zusammenfallen und explodieren, so lange die eigene Monarchie weiterwächst, Kates Hochzeitskleid ein Traum ist und man Williams Glatze nicht sieht! Zeitgleich zum Vermählungsereignis des Jahrzehnts beginnt in England auch das neue Steuerjahr, und spätestens jetzt werden die drohenden Kürzungen der konservativen Regierung richtig heftig beginnen wehzutun.
Wer diesen bitteren Zusammenhang zwischen diesen beiden Daten derzeit thematisiert, wirkt wie ein herzloser Spielverderber. Bitte lass uns nur dieses eine Mal nicht über Politik reden. Immerhin sind Spektakel wie dieses im Grunde ja das, was den britischen Sinn von Glück und Stolz überhaupt (noch) und am prägendsten definiert. An jenem historischen Freitag wird die britische Nation endlich wieder von der Welt bewundert, geliebt, verehrt werden, für das, was sie wirklich und wahrhaftig kann: das Zelebrieren grenzenloser Unterhaltung.
Doch macht die Fähigkeit zum Spektakel die Briten glücklich genug, um die poröse Basis, auf der sie feiern, in Ordnung zu finden? Ebenfalls in den April fällt neben der Vermählung und dem Beginn des Steuerjahres zufälligerweise die Präsentation des "Happiness Index". Dafür werden erstmals rund 200.000 britische Haushalte vom Office for National Statistics (ONC) nach dem Befinden befragt: Hi! Kürzungen und Jobkündigung mal beiseite: Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit ihrem Leben? Welche Dinge sind für Sie lebenswert?
Großbritannien steckt inmitten historisch-drastischer Kürzungen und David Cameron will wissen, wie es seinen treuen Schafen kurz vor der Schlachtbank so geht. Alles gut so weit? Kündigung verkraftet? Prima! Dann kanns ja weitergehen! Die Ergebnisse des "Happiness Index" werden 2012 veröffentlicht, dem Jahr, in dem die Briten sich bereits mit dem nächsten Spektakel ablenken: die Olympiade. Und da es Sommer ist, braucht man nicht einmal eine Heizung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann