Kolumne „Teilnehmende Beobachtung“: Nie mehr in der Scheiße schwimmen
Ach, wenn doch die Spree zum Baden taugte! Stattdessen läuft immer wieder die Kanalisation über und versaut einem die Erfrischung. Damit muss Schluss sein.
Ich bin am Meer aufgewachsen. In den Sommern meiner Kindheit gingen wir – meine Eltern, mein Bruder, Tante, Onkel und Cousinen – ausgerüstet mit einem selbst genähten Windschutz aus geblümten Bettlaken, einer Thermoskanne Kaffee und mit Marmelade gefüllten Palatschinken, meist schon am Vormittag an den Strand. Dort blieben wir dann den ganzen Tag, bis die Bücher ausgelesen, die Kleckerburgen fertiggebaut und die Lippen blau vom vielen Baden waren. Früher hing mein Bademantel stets griffbereit an der Haustür, damit ich nach der Schule, vor dem Schlafengehen, zwischendurch kurz in die Ostsee springen konnte.
Als ich Ende der Neunziger von der Insel Rügen nach Berlin zog, suchte ich mir eine Wohnung nahe der Spree. Während meines ersten Großstadtsommers wollte ich am Molecule Man oder Plänterwald schwimmen. Einfach mal kurz abkühlen, so wie ich es von zu Hause kannte. Doch warnten mich Freunde und Nachbarn vor Hautausschlag, Durchfall und aufgeblähten Rattenkadavern, die auf der Wasseroberfläche schwammen. Selbst stellte ich mir den Grund der Spree wie ein riesige, rostige Müllkippe vor. Sich beim Baden darin zu verfangen, davor gruselte ich mich. Also schwitzte ich lieber.
16 Sommer später hat sich daran nicht viel geändert. Fahre ich an heißen Sommertagen mit dem Fahrrad am graubraunen Flusswasser am Reichstagsufers vorbei, werde ich fast melancholisch. Und ich glaube, die Spree ist es auch. Schuld ist die Mischkanalisation: Wenn es, wie in letzter Zeit immer wieder, stark regnet, ergießt sich eine stinkende Brühe aus Fäkalien, Ölen, Arzneimitteln und Schwermetallen in den Fluss, weil die Abwasserkanäle, in die auch das Regenwasser aus den Straßengullys fließt, überlaufen. Was für eine Scheiße!
Wie schön wäre doch der Großstadtsommer, wenn man am Bundestag schnorcheln, von der Friedrichsbrücke aus arschbomben oder morgens zur S-Bahn kraulen könnte. So wie vor hundert Jahren, als es zwischen Oberspree und Moabit tatsächlich um die 30 Badeanstalten gab.
In Basel, schreibt die Süddeutsche Zeitung, lassen sich viele Basler jetzt morgens durch den Rhein treiben, um pünktlich ohne Stau zur Arbeit zu kommen. Ihr Sakko stecken sie in einen wasserundurchlässigen Sack, den ein Schweizer Start-up eigens dafür entwickelt hat. Auch die Wiener und Münchner baden wieder regelmäßig in ihren Flüssen, und im Eastside River wollen die New Yorker demnächst ein Flussbad eröffnen. Und die BerlinerInnen? Haben sie ihren Fluss als Badewanne vergessen?
Zum Glück gibt es Flusspioniere wie den Umweltingenieur Ralf Steeg. Seine Spezialtanks, an den Überlaufrohren in der Spree versenkt, könnten das Abwasser direkt dort abfangen, wo es bei Starkregen überläuft und danach zurück in die Kanalisation pumpen. Die 2013 im Berliner Osthafen installierte Pilotanlage funktionierte einwandfrei, ihre Realisierung scheiterte dennoch an den Kosten und mangels Kooperationsbereitschaft des Senats und der Berliner Wasserbetriebe.
Paddeln an der Oberbaumbrücke
Auch die AktivistInnen vom Flussbad e. V. kämpfen mit Unterstützung von Bund und Land für ein Schwimmbad entlang der Museumsinsel. Ginge es nach ihnen, würde ein ökologischer Pflanzenfilter das Spreewasser auf einem 835 Meter langen Kanalabschnitt reinigen. Spätestens 2025, also 100 Jahre nachdem die letzte städtische Spree-Badeanstalt schloss, soll dann angebadet werden.
Was noch fehlt, ist unser Engagement, liebe BerlinerInnen! Lassen Sie uns den Sprung ins kalte Wasser wagen. Wenn Sie diese Kolumne lesen, habe ich schon mal eine Mitgliedschaft bei Flussbad e. V. abgeschlossen. Beim kommenden Schwimmen an der Museumsinsel werde ich um den „3. Berliner Flussbad Pokal“ antreten und beim nächsten Sommerhoch zwischen Oberbaumbrücke und Treptower Park stand-up-paddeln. Ich sehe Sie dann sicher dort.
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