Kolumne Speckgürtel: Frühlingsflash im Speckgürtel
Mein Ordnungsamt hat die Vegetationsperiode angeordnet. Zeit für den Gartenmaschinen-Contest.
Es war laut am letzten Wochenende. Laut wie immer, wenn es Frühling wird. Freunde, die uns in unserem Stadtrandhaus, gelegen am Ende einer Sackgasse, besuchten, wunderten sich über den grandiosen Lärm, der die laue Frühlingsluft zerfräste.
Den März nutzen die Bewohner des Speckgürtels traditionell zum Sägen. Das Ordnungsamt unserer Kleinstadt hat nämlich bestimmt, dass am ersten Aprilmontag die Vegetationsperiode beginnt. Das ist so nicht richtig - die Knospen platzen bereits, und in den Astgabeln brüten Vögel. Aber das Ordnungsamt hat das so festgelegt: Frühlingsanfang findet am 7. April statt. Die Wochenenden davor nutzen die Suburbaniten noch rasch zum Bäumeumlegen. Danach ist das verboten.
Fast jeder hat Exemplare auf seinem Grundstück stehen, die wegsollen. Eine Tanne steht dem neuen Carport im Weg, die Birke nimmt die Sonne, und die dürre Kastanie schwankt verdächtig Richtung Hausdach - die kann doch weg! Der suburbane Gärtner erledigt das gern selbst. FAZ lesende Anzugträger, die mit mir unter der Woche mit der S-Bahn in die Innenstadt pendeln, verwandeln sich an solchen Tagen in robuste Ranger, die den kritischen Dialog mit Mutter Natur aufnehmen. Sie tragen dann Warnwesten, Schutzbrillen und Helme. Und ihre Monstermotorsäge. Habe ich für die Gesellschaft solcher Leute den coolen hauptstädtischen Lebensentwurf drangegeben? Nescafé statt Caffè latte? Deichmann statt Geox? Aldi statt Biosupermarkt? Ja, das habe ich. Und an sich ist das verpupte Stadtrandleben großartig. Aber nicht an Sägewochenenden.
In unserer Straße beginnt der erste Säger pünktlich am Samstagmorgen acht Uhr. Mein Nachbar, ein Musiklehrer, nimmt sich als Fingerübung eine Weide im Vorgarten vor. Dann ist die alte Erle dran. Seine Motorsäge macht ihren Job: sie kreischt und reißt ins Holz, zwanzig Minuten später kracht der Baum zu Boden. Jetzt nimmt sein Sohn die zweite Säge zur Hand und trennt die Äste ordentlich vom Stamm. Die Männer sind ganz bei der Sache. Im Laufe des Vormittags machen sie mit Hilfe ihres motorgetriebenen Holzspalters eine ansehnliche Menge Feuerholz - vor zwei Jahren hat sich der Nachbar einen Kamin bauen lassen.
Eigentlich wollte ich heute was im Garten machen, altes Laub harken, vielleicht ein bisschen Kompost sieben. Aber außer unserem Nachbarn haben sich inzwischen noch zwei weitere Anlieger entschlossen, an diesem Vormittag störende Bäume zu fällen. Sie scheinen sich zu einer Lärmperformance verabredet zu haben: Öffne ich die Haustür, stehe ich vor einer Wand aus Kreischen und Krachen. Dazwischen sehe ich Männer in Warnwesten Sägen schwingen, Frauen tragen Wurstbrote und Bierflaschen herbei, Kinder fegen Holzspäne zusammen. Es hat etwas von einer Hausschlachtung.
Vielleicht sollte ich mich anschließen? Gibt es nicht auch in meinem Garten etwas zu killen? Ich gehe in den Keller und sichte die Waffen. Im letzten Sommerschlussverkauf habe ich mir einen Benzinrasenmäher gekauft. Lärmmäßig flasht der. Ich erwäge, ihn erstmals auszufahren und dabei gleich ein bisschen am Schock rumzuspielen, verwerfe aber diesen Plan, denn dann würde ich die Krokusse killen. Schließlich fällt mir die elektrische Heckenschere ins Auge - ihr Blatt funkelt mich an. Wir treten hinaus in den Garten.
Nebenan zerlegt mein Nachbar weiter seine Erle, der Holzspalter versieht unbarmherzig seinen Dienst. Ich beschließe, die Sache zu vertagen, die kleine Heckenschere und ich, wir wären nicht mehr als die Triangel in diesem Lärmkonzert. Gegen Nachmittag kehrt endlich Stille ein. Nebenan wird auf der Terrasse der Kaffeetisch gedeckt. Jetzt bin ich dran. Ich ziehe meine Arbeitshandschuhe an, schultere die Maschine und setze mich Richtung Hecke in Bewegung. Knopfdruck, Hebelgriff, Schwung - ein sattes Motorjaulen, dann Stille. Scheiße, ich habe das Kabel durchgesägt. Zum Glück dürfen Hecken jederzeit geschnitten werden. Ich warte einfach aufs nächste Wochenende, die Vegetationsperiode hat ja gerade erst begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!