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Kolumne SchlaglochTag des Deutschen Ungehorsams

Kolumne
von Jagoda Marinić

Wieso nicht mal einen Parteitag stürmen? Der 3. Oktober sollte zum Tag des entspannten Kampfes für eine gemeinsame Zukunft werden.

Vorbild: die glänzende Demo gegen die AfD im Mai in Berlin Foto: Imago/epd

J etzt also auch noch der Tag der Deutschen Einheit – ein ziemlich unterschätzter Feiertag in einem Land, in dem die meisten ohnehin viel Urlaub und noch mehr Feiertage genießen. So richtig gefeiert wird die deutsche Einheit leider nicht, also keine Party, dazu müsste man wahrscheinlich etwas weniger deutsch sein. So ein Fest, das durch die Straßen zieht, dass schaffen hierzulande eher Minderheiten. Ach ja, der deutsche Karneval schafft es auch noch, aber auch nur einmal im Jahr. Ja, man könnte ein Fest feiern, man könnte einfach mal stolz sein auf eine Wiedervereinigung, die friedlich vonstatten ging und das Volk in den Mittelpunkt stellte.

Aber nein. Zum Deutschsein gehört eben auch, sich das Deutschsein bloß nicht zu einfach zu machen. Ein letztlich liebenswerter Zug des Deutschen. Wo der Deutsche es sich zu einfach macht, wird er leicht brachial. Also macht man es sich in fast allem schwer und denkt, das sei ein Alleinstellungsmerkmal. Es mag für viele Deutsche schwer zu akzeptieren sein, aber dass der Mensch kompliziert ist, das gilt auch für Briten. Es gilt auch für Slawen und vermutlich auch für Araber. Das Komplexe wird nur dann nicht kompliziert, wenn man einverstanden ist mit der Komplexität.

Wenn man sich im Chaos so fließend bewegt wie der römische Verkehr nach Feierabend. Hellwach im Chaos. Das sind Deutsche bekanntlich selten. Chaos beunruhigt hierzulande, führt zum Stillstand und in die Metaebene. Statt zu hupen oder auszuweichen wird diskutiert und nach Regeln gesucht. Hier schafft man sich lieber ein Problem durch das Lösen der Unordnung, sonst hätte man ja nichts zu tun. Das alles könnte sympathisch sein, eine Macke eben.

Das Problem am Deutschsein ist jedoch, dass man vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Stunden die Woche und 365 Tage im Jahr auf diese Art deutsch sein möchte. In fast jedem Lebensbereich. Selbst im Café, bei Familiengesprächen, mit Freunden und ja – auch in der Liebe. Irgendetwas will der Deutsche immer retten, diskutieren oder ordnen – wenn er nicht gerade am Bevormunden ist, weil er ja seine soeben gesetzte Ordnung durchsetzen muss.

Mehr Humor!

Zum Deutschsein gehört leider – im Gegensatz zum Britischsein – nicht die Gabe, sich selbst, das Leben oder das, was man Ernst nimmt, mit Humor zu nehmen. Wenn man dem deutschen Ernst ausweichen möchte, dann nimmt man es mit Gemütlichkeit, was viele deutsche Städte so unerträglich spannungslos macht.

Der Tag der Deutschen Einheit müsste endlich richtig gefeiert werden: als Tag des Urlaubs von sich selbst. Der Tag, an dem Deutsche genießen, sich und ihr Land einmal locker zu nehmen – ohne dabei zu gemütlich zu werden. Es geht ja nicht darum, schon wieder nichts zu tun. Es geht darum, einfach mal entspannt zu sein beim eigenen Tun. Psychologen raten zu Progressiver Muskelentspannung, weil es sich verkrampft doppelt so hart lebt. Vielleicht ist das der eigentliche Grund für die grundsätzliche Überforderung vieler hier, trotz letztlich baumwollweicher Lebensbedingungen für viele. Etwas mehr Progressive Muskelentspannung für das deutsche Volk also! Weich gebettet liegen wir schon.

Man könnte am Tag der Deutschen Einheit für einen deutschen Tag lang aufhören, nur nach dem zu suchen, was man alles nicht feiern kann in diesem Land. Man fragt einen Tag lang nicht, wo die deutsche Mauer jetzt begraben liegt und weshalb es mit der deutschen Einheit nicht so recht vorangeht. Man gesteht sich ein, dass die Frage an sich schon saublöd ist: Einheit heißt nicht Gleichheit. Unterschiedliche Erfahrungen machen unterschiedliche Menschen. Man schaut einen Tag lang nach vorne (hey, ja, da war doch mal so etwas wie Zukunft) und feiert das Gestern, um im Heute klarer zu sein.

Man verabschiedet sich von einer Erinnerungskultur, die sich damit begnügt, Erinnerung zu sein und setzt sich – wann immer man sich erinnert – im Heute aktiv für jene Welt ein, die von den Nationalsozialisten abgeschafft wurde. Man tut das spielend leicht, wie zum Beispiel bei der glänzenden Demo dieses Jahr Ende Mai in Berlin. Man wagt es, dem existenziellen Kampf mit Eleganz und Leichtmut zu begegnen. Man vermeidet diese bedeutungsschwangeren Pausen beim Reden, weil man sich nicht immer in die Hosen macht vor sich selbst und dem eigenen Übel, das immer auch im Raum ist.

Ein Tag für den Blick voraus

Man trifft den Vorsatz, das nächste Mal einen Parteitag zu stürmen und für die eigene Zukunft Forderungen zu stellen. Zum Beispiel die, dass Bildung wieder Bildung sein sollte statt Ausbildung. Wir brauchen keine funktionierenden Apparaten-Kinder, wir brauchen Bürger von morgen.

Man stellt sich am Tag der Deutschen Einheit hin und stellt fest: In kaum einem Land der Welt war Ungehorsam so bedeutend und erfolgreich wie in diesem. Ohne Ungehorsam gäbe es die deutsche Einheit nicht. Ohne Ungehorsam gäbe es dieses Deutschland nicht. So einfach – das vereint Ost und West, es vereint Nord und Süd und es vereint fast alle Menschen, die hier leben.

Man stellt sich nach so einem fulminanten Ungehorsamsaufruf aber danach bitte nicht wieder in eine Reihe mit all jenen, die das Gesagte durch ihr aufgeweichtes Tun relativieren werden – angeblich, weil man friedlich zusammenleben muss. Nein, der Tag der Deutschen Einheit ist der Tag, an dem daran erinnert werden sollte, dass alles, was von Deutschland aus je Wegweisendes ausging, sich dem zivilen Ungehorsam verdankt.

Darin war Deutschland nun jahrzehntelang Exportweltmeister. Das in Trümmern geschaffene Grundgesetz, Vorbild für so viele. Das kritische Denken – die Kernkompetenz eines Landes, dessen Denker noch immer bekannter sind als die meisten Weltmarken.

Es gibt keinen besseren Tag als den Tag der Deutschen Einheit, um den zivilen Ungehorsam zu feiern. Ihn zum Kernbestand dieses Landes zu erklären – zur Haltung der Bürger, die jede Bürgergesellschaft braucht, wenn sie sich demokratisch nennen will. Der Tag der Deutschen Einheit sollte ein Tag werden für den Blick voraus.

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5 Kommentare

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  • AfDler würden weiten Teilen des Kommentars voll zustimmen. Das Stürmen eines Parteitags und ähnliche Aktivitäten halte ich allerdings für undemokratisch, um nicht zu sagen für ´bully-tactics´, mir fällt kein geeignetes deutsches Wort ein.

  • Gelungener Kommentar. Sehr gut! Ist mir nie so klar gewesen, aber ich stimme inhaltlich voll und ganz zu. Besetzt ein haus, stürmt eine bank. Die welt ist unser!

  • Es ware ein guter Tag, an dem Grüne sich mal fragen könnten, was eigentlich aus Bündnis90 Ideen wurden?



    "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat!"



    "Wir wollten Demokratie und bekamen ReGIERung!"

  • Der 3.Okt ist ein PolitEliten Gedenktag!



    Mit dem 3.wurden auch Generationen betrogen, denen man gesagt hatte: Wiedervereinigung: Verfassung und Vokksabstimmung!



    Mit dem 3.wurde die Feigheit der Eliten verdeutlicht: keine neue Nationalhymne, sondern die sowohl als ob 1.und 3 Möglichkeit! Keine neue Flagge, die Aufbruch hatte signalisieren können...



    Nix sagten die Kohls...Keine PöbelExperimente....

    Ungehorsam waren die Leut am 09.11.89 oder auch beier Novemberrevolution.... Es ist nicht umsonst bestimmt worden, dass ein komplett emotionsloser Verwaltungsakt zum Feiertag stilisiert wurde, denn man wollte vermeiden, dass Volk sich an den Ungehorsam der Väter, der Ostler erinnert!

    Gedenkt wird also von Institutionen, die sich darstellen und ihre Wichtigkeit!



    Die Geld aus der Sozialstaatskasse nehmen, um ihre Anliegen vorzuführen! (Ein bißchen DialogStadl wird auch vorgeführt... damits nicht ganz so auffällig wird!)

    Das Volk ist nur doppelt zahlender Zuschauer!



    DAS sollte vom Pöbel nicht gefeiert werden! Never! Nie! Niemals!

  • Es steht uns doch frei eine streitbare Kultur Kammer einzuberufen in der wir uns gemeinsam darum bemühen wollen unsere Vorurteile zu überwinden. Einen freien außerparlamentarischen "Bundes Bürger/innen Senat" der "Alternativen freiwilligen Initiativen" (AfI).