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Kolumne SchlaglochWas lesen Welt-Ungewisse?

Kolumne
von Kerstin Decker

Nach dem Mauerfall verlor der Ex-Chefredakteur der "Jungen Welt" sein vor Wissen starrendes Ich. Welche Erleichterung!

A m Mittwoch wäre die DDR 60 Jahre alt geworden, also: Rentnerin. Frauen bekamen in der DDR mit 60 Rente. Vor zwanzig Jahren wurde die DDR 40.

Man weiß, ohne dieses Jubiläum - DDR-sprachlich: Republikgeburtstag - hätte es den Herbst 1989 so nicht gegeben. Oder doch, natürlich hätte es ihn gegeben, aber anders. Vor allem später.

Erich Honecker hatte Michail Gorbatschow zu Gast, das gehörte sich so, schließlich war die DDR ein Satellit der Sowjetunion. Und doch hätte Honecker diesmal noch die entlegenste Tante lieber eingeladen als den großen Bruder. Denn dieser hatte vier Jahre zuvor begonnen, eigentümliche Fortbewegungsgesetze für Satelliten auszurufen: Macht doch, was ihr wollt! Gerufen hat er das natürlich nicht, aber verstanden hat es auch so jeder: Glasnost und Perestrojka, was sollte das anderes bedeuten, als dass jeder unter den Bedingungen radikaler Offenheit (Glasnost) einen Umbau (Perestrojka) des Sozialismus versuchen durfte? Der alte militante Spruch "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!" war plötzlich in aller Munde.

Kerstin Decker

ist freie Autorin und lebt in Berlin. Gemeinsam mit Gunnar Decker veröffentlichte sie unlängst "Über die unentwickelte Kunst, ungeteilt zu erben. Eine Deutschstunde" bei Dietz Berlin.

Vielleicht kam mir der plumpe Antikommunismus der CDU nach 1989 auch deshalb wie geistige Wiedereinmauerung vor - intellektuell kränkend war er ohnehin -, weil er so tat, als hätte es diese geistige Selbstbefreiung des Sozialismus nie gegeben. Das Volk würde also wie gewöhnlich jubelnd an der Partei- und Staatsführung vorbeimarschieren? Aber natürlich. Es rief "Gorbi! Gorbi!". Der stand neben Honecker und winkte zurück. Honecker sah noch wächsener aus als sonst. Er hatte zuletzt in seiner Verzweiflung begonnen, sowjetische Zeitschriften verbieten zu lassen.

Gleich beginnt die Buchmesse. Viele Bücher dieses Herbstes rahmen noch einmal jene Tage und seine Mitwirkenden. Es gibt schlichte Rahmen, Goldrahmen, Schmährahmen, Trauerrahmen, Triumphrahmen. Das Buch des früheren Chefredakteurs der Jungen Welt aber fällt aus allen. Genau wie sein Verfasser, Hans-Dieter Schütt. Und sein Titel: "Glücklich beschädigt. Republikflucht nach dem Ende der DDR".

Die Junge Welt war nicht irgendeine Zeitung in der DDR, sie hatte eine Auflage von 1,5 Millionen, was sich nicht zuletzt aus der Hoffnung erklärte, dass die Sprache einer Zeitung für junge Menschen doch nicht ganz tot sein könne. War sie auch nicht, Schütt bezeichnet ihre Besonderheit rückblickend als "flüssige Vorwärtsprosa". Journalismus im Sozialismus: "Die Leute sollten nicht erfahren, dass sie nichts erfahren sollten." Schütt war demnach der mächtigste Zeitungsmann der DDR, ein großer Agitator vor dem Herrn. Anfang November 1989 wurde er von seiner eigenen Redaktion abgesetzt, schon weil man mit einem Chefredakteur von gestern nicht das Morgen betreten sollte.

Und was machte nun dieser unversehens aus Zeit, Amt, Arbeit = Leben Gefallene? Er befand sich gewissermaßen im Mittelpunkt des Nichts, empfand diesen Aufenthaltsort als überraschend angenehm und tat das Nächstliegende: Er las Peter Handke. "Ich hatte plötzlich viel Zeit, ich spürte schlagartig, was Muße ist? Ich fiel von mir selber ab, da lag nun alles Bisherige, die Frucht der jahrelangen Mühen - mir plötzlich selber ungenießbar." Ein Statiker inmitten der nun mehr rasenden Zeit. "Glücklich beschädigt" ist die vielleicht merkwürdigste Biografie im Kontext des Herbstes 89, in jedem Fall die stillste. "Der Handke-Leser ist jemand, dem das vor Wissen starrende Ich abhandenkam." Was für eine Erleichterung!

Es gibt nicht mehr viele journalistische Zufluchtsorte für Weltungewisse. Einer heißt Neues Deutschland. Dort stehen, seit Jahren schon, die bemerkenswertesten Theaterkritiken weit und breit. Dort hat sich etwas festgesetzt, was aus anderen Zeitungen wegen Uncoolness immer mehr verschwindet: Geist. Geist im Sinne dieses Weltverhältnis älteren Typs, das die 68er einst als reaktionär abschafften. Sie hatten wohl recht, Geist ist wahrscheinlich immer ein wenig reaktionär, zumindest beharrend, und darum hat das Neue Deutschland heute ein, ja, sprechen wir es ruhig aus, irgendwie stockkonservatives Feuilleton. Aber weltweitend-konservativ.

Wahrscheinlich hofft die Redaktion noch immer, dass die alten Leser das nicht merken, neue können es fast nicht merken, denn die gibt es kaum. Eine Zeitung für Stigmatisierte und solche, die es werden wollen! Wahrscheinlich fand dieser Handke-im-Herbst-Leser, das ND sei genau die richtige Strafe für ihn.

Der frühere Chefredakteur der Jungen Welt ist ein Störfall. Er irritiert nicht zuletzt die eigene, nicht ganz unzuverlässige Welterfahrung: Kommunisten waren, vorsichtig gesagt, nicht eben die Hellsten. Oder sie hatten Eltern, die auch schon Kommunisten waren. Beides traf auf ihn nicht zu, im Gegenteil. Und was für eine hochauflösende Kraft der Sprache, die in ein paar Sätzen ganze Welten erschafft. Wie wurde so einer zum obersten Diener der Macht? Wo ist die Erklärung?

Irgendwann merkt man: Er will sie gar nicht geben. Vielleicht weil jede Erklärung schon zu nah an der Rechtfertigung ist. Fast alle Herbst-Literaten möchten vor allem eins: recht behalten. Dieser Autor möchte unrecht behalten. Aber Hinweise gibt es. Da ist die gescheiterte Republikflucht eines Mitschülers. Schütt verlor als vermeintlicher Mitwisser sein schon bestätigtes Volontariat bei einer Tageszeitung. Der stellvertretende Chefredakteur: "Wir werden dafür sorgen, dass Sie nie Journalismus betreiben, denn was Sie getan haben, gleicht dem Schuss eines Offiziers in die eigenen Reihen." Also Gummiwerker. Gummi dehnt sich, aber die Welt eines metaphysisch berührbaren Gummiwerkers schrumpft. Was macht man da? Dem fatalen Beinahechefredakteur das Gegenteil beweisen? Es folgte der Sturz in eine ebenso fatale Festkörpermetaphysik, die zuerst alle Berührbarkeiten tilgt? Die besten DDR-Bücher handeln von viel mehr als der DDR.

Bücher, vor der Buchmesse darf man das ruhig sagen, sind für Menschen mit einem nicht ganz simplen Selbstverhältnis als Weltverhältnis. In den lesenswerten geht es fast nie um Recht und Unrecht, sondern um das, was Menschen mit Menschen teilen können: Erfahrungen.

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1 Kommentar

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  • WE
    Warheit erkennen in zusammenhängen

    Warheit erkennen in zusammenhäng sagt:

    Bei allen Lobliedern auf die SOVIETS sollte man nicht vergessen

    ...das Marionettenregieme der SED von Moskau/Stalin Installiert

    und von Crustschov/ PUTIN verbessert wurde.

    Was Honecker tat hat er in Moskau gelehrnt

    Ursache der verknöcherten DDR-Führung

    war Indokrination die die SED in Moskau

    vorher abbgekahm.

    So funktionierte das Vorzeigekomunistenland DDR als SChaufenster

    der Soviets nach Westen besser als Moskau selber.

    Daher hat der Russe ja von 1945 - 1980 alles Demontiert was

    in der DDR zu einer konkurenz für die Soviets wurde.

     

    DDR durfte keine Metallautos bis auf dem Wartburg bauen.

    Die Gothaer Wagonfabrik wurde in die CSSR verlagert.

    jede zweite SChiene die heute teuer wieder eingebaut wird

    wurde nach UDSSR als Repparrationsleistung zu DDR Zeiten abbgebaut.

    Was heute als Solileistung im Osten nicht wieder in Westbaufirmen

    landet und in Schienen investiert wird...ist das was der Marshalplan und

    40 Jahre Marktwirtschaft West generiert haben.

    Das kann man teuer nennen...oder aber auf ewig ein Unruheherd

    in Armut und Balkanisierung von DDR bis Polen Rumänien riskieren.

    Denn der Soli fliest ja über kreisläufe indirekt auch aus den

    neuen Bundesländern in die anderen EU staaten wie Polen und

    Tschechei ab (Bauarbeiter usw)

    esZahlen alle Deutschen Ost wie West Polen und Tschechen

    letztendlich einen hohen preiß um

    40 Jahre russischer Reparationsleistungen zu begleichen.

    Der Deutsche mit Soli der Pole und Tscheche mit dem Zwang auswandern zu müssen. (siehe Polnische Ihren)