Kolumne Rote Erde: Depp ohne Orientierung
"Der Typ kommt aus Deutschland", sagt der Mann im Bus ganz laut. Und bald hat mir der Erste versprochen, mich nachher bis zum Stadion zu begleiten.
I ch bin immer noch unsicher in Johannesburg. Wenn ich meine Unterkunft verlasse, weiß ich nie so recht, ob ich meine WM-Akkreditierung offen sichtbar tragen oder im Rucksack verschwinden lassen soll. Für Ersteres spricht, dass ich dadurch leicht als Deutscher zu erkennen bin. Das könnte die Menschen animieren, diesem kontinentaleuropäischen Deppen, der so orientierungslos in der Gegend herumschaut, zu helfen. Aber, und das spricht für das Verstecken des Fifa-Lappens, ich möchte gar nicht hilflos wirken, ich möchte so aussehen wie einer, der sich die Butter nicht vom Brot, der sich überhaupt nichts wegnehmen lässt.
Mit verborgener Akkreditierung mache ich mich also auf den Weg zum Minibusbahnhof an der Parkstation. Ich versuche so zu tun, als sei es für mich das Normalste der Welt, sich durch das Gewusel vor dem Bahnhof durchzukämpfen, und frage, wo die Minibusse nach Pretoria abfahren. Der Mann, den ich frage, hat gerade keine Zeit, mir zu antworten. Er beobachtet, wie zehn Polizisten versuchen, ein schmächtiges Bürschlein auf die Ladefläche eines Polizei-Pickups zu schieben. "Das ist ein Ausländer", erklärt er mir, "der hat keine Papiere."
Ich versuche einen Blick aufzusetzen, der so viel sagt wie: "Kenne ich, das ist bei uns ja auch nicht anders." Dann fällt mir ein, dass ich die Akkreditierung ja im Rucksack habe und der Mann gar nicht wissen kann, wo ich herkomme. Ich schaue mir nun den Gesichtsausdruck des Mannes an, der Mitleid mit dem Bürschchen zu haben scheint, und blicke ebenfalls mitleidig drein.
Andreas Rüttenauer ist Sportredakteur der taz und berichtet aus Südafrika.
Zehn Minuten später sitze ich mit 25 anderen in einem Minibus und lasse mich nach Pretoria chauffieren. Ich will nicht mehr wirken wie ein Kerl, der alles checkt, und hole meine Akkreditierung aus dem Rucksack. "Aha, Sie kommen aus Deutschland", sagt mein Sitznachbar. "Der Typ kommt aus Deutschland", sagt er ganz laut, so dass jeder weiß, was für ein hilfloses Kerlchen neben ihm sitzt. Die Menschen lächeln. Bald hat mir der Erste versprochen, mich nachher bis zum Stadion zu begleiten. Variante eins ist doch nicht so schlecht.
Die Menschen im Bus fragen mich, wie es mir gefällt in Südafrika. "Gut", sage ich und denke an das Bürschchen, das an der Parkstation verladen wurde. "Gut? Aber das schreiben sie nicht. Niemand schreibt etwas Gutes über Südafrika." Wie reden weiter über Deutschland. "Wer ist der einflussreichste Politiker in der deutschen Geschichte gewesen?", fragt mich einer. "War das Hitler?" Darauf fällt mir so schnell keine Antwort ein. "Und in Südafrika?", frage ich. Die Antwort ist vielstimmig: "Nelson Mandela, natürlich." Jetzt fällt mir erst recht nichts mehr ein und ich lenke das Gespräch auf das Thema Fußball.
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