piwik no script img

Kolumne PsychoAngststörung zum Anziehen

Wie kann man beschreiben, was unbeschreiblich ist? Entweder mit Worten. Oder mit Objekten, die Gefühle spürbar machen.

„The Bender“: Beugt den Kopf Richtung Boden Foto: Marie Jacob

E s gibt eine Frage, die mir in fast jedem Interview gestellt wird: Wie fühlt sich eine Panikattacke an? Ich muss dann immer daran denken, wie enttäuscht ich früher war, wenn die Verfilmung eines Buches ganz anders aussah, als das, was ich mir beim Lesen vorgestellt hatte.

Jeder hat seine eigene Wahrheit, seine eigenen Empfindungen, und die eins zu eins zu transportieren, ist nahezu unmöglich. Selbst, wenn die Hauptfigur als brünett beschrieben wird, sieht der eine vor dem inneren Auge ein dunkles Blond, der andere ein sattes Braun und der nächste ein helles Braun mit Rotstich, von der Länge und der Struktur der Haare mal ganz zu schweigen.

Aus meinem Versuch, meine Angststörung zu beschreiben, ist ein ganzes Buch geworden – und bin immer noch nicht sicher, ob ich die richtigen Worte gefunden habe.

Johanna Dreyer, Nele Groeger und Luisa Weyrich haben im Rahmen ihres Masterstudiengangs an der Universität der Künste in Berlin einen anderen Weg gewählt, Angststörungen und Depressionen zu vermitteln. Nicht durch Worte, sondern durch Objekte.

Emotions-Simulatoren

Ihre Idee ist auf den ersten Blick so naheliegend, dass sie schon wieder genial ist: Da psychische Probleme nicht nur im Kopf stattfinden, sondern auch das körperliche Befinden beeinflussen, sollen sogenannte Emotions-Simulatoren zum Anziehen genau das erfahrbar machen. Denn, siehe oben, es ist eben ein Unterschied, sich etwas nur vorzustellen oder es am eigenen Leib zu spüren.

Weil ich mir das unbedingt anschauen will, fahre ich am vierten und letzten Tag zu ihrer Pop-Up-Ausstellung „The Shitshow – A show about shitty feelings“. Auf dem Weg dorthin fühle ich mich beschissen, aber hey, ich bin eben Perfektionistin. Dann stehe ich vor einer Tafel mit der Aufschrift „When was the last time you felt shitty?“ und es geht mir sofort besser. Ich bin nicht allein. Die meisten Besucherinnen und Besucher haben ihre Aufkleber bei „Today“ platziert. Meiner klebt da jetzt auch.

Nebenan kann man Ratschläge für schlechte Zeiten auf Zettel schreiben und dafür einen anderen mitnehmen. Zwischen Empfehlungen wie Natur, Sport, Natur, Sex und nochmal Natur stehen Sachen wie: Im Auto schreien. Eat eat eat. Irgendwie klarkommen.

Und dann sind da noch die vier Objekte zum Anziehen. Ein Helm wie ein überdimensionales Blaulicht, der einen sowohl schlechter atmen als auch die Welt nur noch schemenhaft erkennen lässt. Eine Art gebogene Luftmatratze mit Rucksackträgern, die einem den Kopf Richtung Boden beugt. Ein wurstiges Konstrukt, das wie eine Kette in den 20ern vorne eng und hinten lang getragen wird und hart auf den Kehlkopf drückt. Ein Umhang, der mit sechs Kilo Sand gefüllt ist.

Kehlkopfwürger

Während mir die Schwere des Umhangs gut tut und mich erdet, setze ich den Helm nur kurz auf. Atemnot. Auf den Kehlkopfwürger verzichte ich ganz, ich kenne das Gefühl auch so gut genug. Als ich den Beuger anhabe, spricht mich eine junge Frau an – es ist unmöglich, ihr ins Gesicht zu sehen.

Aber wir kommen ins Gespräch. Genau wie die anderen Besucherinnen und Besucher, die sich über ihre Empfindungen austauschen. So sei die Ausstellung auch gedacht, sagt Nele Groeger: Als Kommunikationsmöglichkeit zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen, die zur Sensibilisierung und Entstigmatisierung beitragen soll.

Die psychologisch-psychotherapeutische Beratung des Studierendenwerks Berlin benutzt die Simulatoren bereits zur Prävention, da Depressionen und Angststörungen unter Studierenden weit verbreitet sind und es in den Wohnheimen immer wieder Suizide gibt. Und die Frau neben mir, die gerade sehr viele Fotos macht, arbeitet in einer Klinik und will direkt alle Objekte kaufen.

Wer weiß, vielleicht gehen die Prototypen ja bald in Serie. Im Zweifel könnten sie Leben retten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

taz am wochenende
Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Interessant. Danke.



    Wünsche dem Projekt viel Zuspruch.

    So originell - gar genial - ist das alles aber nicht!



    Jedes Kind macht - so es gelassen wird - solches!



    Anverwandlung - auch des anders anderen - durch



    Nachahmung! Klar.



    &



    War - vltt geschärft durch eine schwerbehindert wackelige Mutter.



    Darin - ob Stotterer psychisch/körperlich Auffällige usw sehr geübt.



    Noch heute z.B. kann ich die Behinderung 'Zentral' auf der



    Straße en passant erfassen. Er war Kartenabreißer im namentlichen Kino.



    Hatte einen sehr speziellen ausladenden Gang & fuhr - damals - noch nicht häufig!



    Ein dreirädriges Fahrrad - 'heftigster‘ Fahrstil!



    &



    Früh merkte ich - daß längeres derart - Machen/Hineinversetzen etc



    Mit mir was machte! In vielfältiger Form - körperlich wie psychisch - ja.

    Klassisch später - Kabarett - 'Gib mal einenhutzelzwergiges Psychiaterekel!



    Mit Fistelstimme’! - Nix!



    Bis ich dank Regisseur - die Körperhaltung einnahm!



    &



    Zack - Fistelstimme war da!



    &&& ff

    & dazu passend -



    Mußte ich schmunzeln - als hier inne taz eine Therapeutin sich derart outete!



    Daß sie zum Nachempfinden die Körperhaltungen ihrer Patienten einnehme.



    &



    Mit gut 20 Jährchen aktiver gestaltorientierter;) Bodyworker - ist mir das eines der! Mittel - das Spezielle - nervlich/psychisch Verortete - innerlich zu erfassen!



    Ja - kann längst den inneren Film allein vorm geistigen Auge - an/abstellen!

    kurz - das - was salopp unspezifisch 'Prozesse‘ genannt wird!



    Läßt sich bei entsprechender Erfahrung/Übung adaptieren - vorausahnen.



    Deshalb ja auch reziprok der wissende Spruch -



    “Helfend begleiten kann dich nur der!



    Der deine 'Macke' nicht - oder gar - nicht mehr hat!“

    (ps Leider sind nicht alle helfende Begleiter so erfahren klug!)

    • @Lowandorder:

      btw nochens -

      Charles Schulz - der scharfe Beobachter



      (have a look at Snoopy!;)) hat das 1960!



      Schon in einen 4er Strip gebracht!;)(

      Charlie Brown - hängender Kopf



      1.“So stehe ich, wenn ich deprimiert bin.“



      2.“Wenn du deprimiert bist, ist es ungeheuer wichtig, eine bestimmte Körperhaltung einzunehmen...“ zu (Pretty) Patty.



      3. Kopfhoch “Das Verkehrteste was du tun kannst, ist aufrecht und mit erhobenem Kopf dastehen, weil du dich dann sofort besser fühlst.“



      4.“Wenn du also etwas von deiner Niedergeschlagenheit haben willst, dann mußt du so dastehen… klar wie 1.

      unterm—-



      Dem Kundigen wird klar sein - daß diese sheet-Handreichung sich einem - wohlwollenden Menschen in einer bestimmten Lebensphase verdankt!;)(



      &



      Das Blatt in guter Gestaltmanier - längst bis grad noch unbeachtet - noch heute die Tür des Kabuff in der Küche ziert!;))