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Kolumne Press-SchlagKein Löw ist auch keine Lösung

Martin Krauss
Kolumne
von Martin Krauss

Das Abc des Nationalismus sucht den Fußball heim. Die Krise der Nationalmannschaft kann man ohne den politischen Rechtsruck nicht verstehen.

Nichts hilft mehr, da kann Löw dirigieren, wie er will Foto: ap

E s sind ja nicht nur politische, ästhetische oder historische Gründe, die es nach dem 0:3 gegen die Niederlande verbieten, von „Untergang“, „Debakel“, „Blamage“ oder „Schande“ zu schwadronieren. Sich um eine angemessenere Sprache zu bemühen ist auch fußballerisch geboten.

Fußballerisch! Das heißt so viel wie: nicht nationalistisch!

Zum Verständnis des 0:3 gehört, dass sich die Niederlande effizienter an einen Neuaufbau gemacht haben als der Trainerstab um Jogi Löw. Doch die hatten als Nichtqualifikant anlässlich der WM auch eine noch fettere Klatsche bekommen haben als die Deutschen mit ihrem Vorrundenaus. Da die früheren Fehler, mit denen der neue Bondscoach Ronald Koeman zu tun hat, größer ausgefallen waren, kann er jetzt schneller punkten. Und er hatte schon seit Februar Zeit dafür.

Jogi Löw fehlt diese Zeit. Kurz nach der miserablen WM musste er in die neue Pflichtspielserie gegen Teams wie Frankreich und die Niederlande. Und so klar wie für Ronald Koeman sind für Löw frühere Fehler nicht erkennbar. Das Konzept, das seit 2006 die DFB-Elf zur Weltklassemannschaft machte und 2014 gar zum Titel führte, muss er weiterverfolgen. Es ist ohne erfolgversprechende Alternative.

Dieses Konzept fußte auf einer ab 2004 beginnenden breiten Integration möglichst aller Talente im hiesigen Fußballbetrieb. Die noch von alten Funktionsträgern wie Berti Vogts oder Matthias Sammer hochgehaltene Orientierung auf sog. Biodeutsche war, das haben Löw und sein Vorgänger Jürgen Klinsmann deutlich gesehen, mit den Anforderungen des Weltfußballs nicht zu vereinbaren. Es waren gerade Spieler wie Jérôme Boateng, wie Sami Khedira oder wie Mesut Özil, die für die nötige Weltöffnung sorgten. Auch Spieler wie Toni Kroos oder Manuel Neuer sorgten für das hochmoderne Spiel des vergangenen Jahrzehnts.

„Mit unseren wär das nicht passiert“

Doch Jogi Löw erlebt gerade, dass diese mit seinem Namen und seiner Fußballkompetenz verbundene Modernisierung zumindest stottert, wenn nicht gar scheitert. Und er muss fassungslos mit ansehen, dass er gar nichts dagegen machen kann. Auf dem Platz hat er nicht mehr die Generation der aufstrebenden Weltklassespieler, die der Bundesliganachwuchsarbeit entstammen. Von dem Kader, der in Amsterdam verlor, fallen bestenfalls Joshua Kimmich und Leroy Sané in diese Kategorie.

Schon während der WM zeigte sich: Länder wie Frankreich, Belgien oder England haben nicht nur auch gute Nachwuchsarbeit, sondern bessere. Doch die dumpfe und falsche Antwort, wie sie in der Özil-Debatte offenbar wurde, lautet: „Wir haben die falschen spielen lassen, mit unseren wär das nicht passiert.“

Wer im Weltfußball Erfolg hat, macht ja etwa das, was Pep Guar­dio­la, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel oder eben Jogi Löw machen.

Jogi Löw und sein Team sind also auch mit dem politischen Rollback konfrontiert, das Deutschland gerade dramatisch nach rechts rücken lässt. Plötzlich sind Herkunft, Religion und sogar die Bereitschaft, eine Hymne zu schmettern, auch zu Kriterien einer Nominierung avanciert.

Es ist die Ahnungslosigkeit, die Borniertheit, die Crux, also das gesamte Abc des Nationalismus, das den Fußball derzeit heimsucht. Denn anders als beim Übergang von der Ribbeck/Völler-Zeit zur Ära Klinsmann/Löw gibt es ja aktuell kein neues Modell fußballerischer Vergesellschaftung, das von einer neuen Trainergeneration verkörpert würde. Wer im Weltfußball Erfolg hat, macht ja etwa das, was Pep Guar­dio­la, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel oder eben Jogi Löw machen.

Die Alternative zu Löw sind dumpfe Schreihälse à la Mario Basler, Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg, vermutlich muss man auch Uli Hoeneß dazu rechnen. Dass die mit Kampf, Härte und all diesen deutschen Tugenden den Auswahlfußball gegen die Wand fahren würden, ist ziemlich gewiss. Aber, wie sang schon Bob Dylan: „There’s no success like failure. And failure's no success at all.“

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte
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6 Kommentare

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  • Ist Herr Löw überhaupt noch „der Richtige?“

    Erstens wird man an Erfolgen gemessen. In Russland, zum ersten Mal in der Geschichte konnte Deutsche Fußballnationalmannschaft die Gruppenphase bei einer WM nicht überstehen. Und in der neuen Nationalliga droht der Abstieg.

    Umgang mit Spielern? Folgende Situation wurde in den Medien leider einseitig berichtet.

    Pressemitteilung am 05.09.2018:

    Mesut Özil und Sandro Wagner: Joachim Löw schließt Rückkehr aus.

    Pressemitteilung am 27.09.2018:

    Der deutsche Bundestrainer Jogi Löw wollte mit Mesut Özil sich aussprechen, flog nach London zum FC Arsenal London, wurde aber nicht reingelassen.

    Frage: Was soll man noch besprechen, wenn man dein Zurückkommen in die Nationalmannschaft ausschließt? Wer würde da noch reden wollen? Das ist überhaupt nicht in Ordnung (diese Reise nach London)!

    Gibt es Trainer, die Deutsche Fußballnationalmannschaft weiter bringen könnten und als „Trainer und Spielerfreund“ gelten?

    Ja!

    Otto Rehhagel,



    Felix Magath,



    Jürgen Klinsmann,



    Jürgen Klopp.

  • Was sogenannte Dumpfbacken nie verstehen werden, ist: Eine Ahnenreihe ist keine Garantie. So etwas wie ein Sieger-Gen gibt es nicht. Schon gar nicht gekoppelt an blonde Haare und/oder blaue Augen. Erfolg ist eine Kombination aus Eigenschaften, die alle Menschen haben – oder halt nicht. Manch einem macht das scheinbar große Angst.

    Fußball ist ein Spiel. Man kann es nur gewinnen, wenn man einen starken Willen mit (u.a.) Können, Einfallsreichtum, Teamfähigkeit und Flexibilität kombiniert. Ein Stadion ist schließlich kein Schlachtfeld. Brutalität hilf da nur bedingt. Hilfreicher ist es, die 11 Spieler aus einem möglichst großen „Pool“ auswählen zu können. Gute Nachwuchsarbeit kann da hilfreich sein. Aber nur, wenn man sie allen Talente zukommen lässt. Jedenfalls so lange, wie andere Nationen lieber gewinnen, als im eigenen Saft zu schmoren.

    Übrigens: Die beste Nachwuchsarbeit hilft nichts, wenn man Talente bedroht. Die Jungs da auf dem Platz sind noch keine 30 Jahre alt. Sie haben nie was anderes machen wollen als Fußball spielen. Woher sollen sie die Gelassenheit nehmen, die Mensch braucht, wenn über ihm ein Damoklesschwert hängt?

    Wer damit rechnen muss, bei jeder Niederlage an einen öffentlichen Pranger gestellt zu werden – womöglich gar für etwas, was Politiker sich täglich erlauben, der kann angesichts drohender Pleiten eigentlich nur noch verlieren. Genau das scheint bei der WM passiert zu sein – und gestern offenbar wieder.

    Dass Löw „gar nichts dagegen machen kann“ dass „seine“ Jungs trotz seines Erfolgs-Rezepts nicht aus der Krise finden, glaube ich nicht. Er könnte immerhin versuchen, ihnen die Freude am Spielen wieder zu geben. Und zwar dadurch, dass er sagt: „Erfolge und Misserfolge sind was für die Sesselfurzer, die nicht spielen dürfen. Ihr, Jungs, müsst spielen. Das seid ihr den Fans schuldig. Und mir auch.“ Aber dazu müsste Jogi erst mal seine eigene Angst vor dem Scheitern in den Griff kriegen. Ob er das schafft nach dem medialen Dauerfeuer?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein Weiteres: von ard.de zurück, wo kompetent über das Thema 'Erkenntnis' philosophiert wurde. Womit? Mit Recht.

    Die dort angeführten Beispiele aus der BuLi zeigen, dass Systemwechsel - ja, ja - funktionieren können. Aktuell: Hertha BSC und 'meine' Borussia aus Mönchengladbach.

    Dass Löw und Merkel so gut miteinander können, wen wundert's? Die gleiche Angsthasen-Chemie. Keine Experimente (CDU-Slogan, 1957?)

    Noch Fragen?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Jetzt weiß ich endlich, woher der Begriff "Schlagzeile" kommt.

    Kein-Löw ist nicht nur keine Lösung. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die DFB-Elf plötzlich ohne Trainer dastünde. Es gibt jede Menge sachkundige Trainer. Deutsche und Nicht-Deutsche. Basler, Matthäus und Effenberg da aufzuführen: ist dies den ungewohnt hohen Oktobertemperaturen zuzuschreiben? Eine Glosse soll das wohl nicht sein?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Herr Leiberg, Sie beehren die Kolumne mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Das hat sie nun wirklich nicht verdient

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Erichsen Gunnar:

        Doch. Schon.