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Kolumne Press-SchlagViva la Ungerechtigkeit!

Warum das, was der Videobeweis verspricht, im Fußball nichts zu suchen hat. Und warum wir das im Bezirkspokal lernen können.

Ungerechtigkeit schweißt zusammen! Foto: dpa

W ie man FC-Spraitbach-Fan wird? Ganz einfach: Es reicht, zu lesen, dass der Schiedsrichter beim Bezirkspokalspiel des FC Spraitbach gegen TSV Heubach vor 14 Tagen ursprünglich fünf Minuten Nachspielzeit angesetzt hatte und dass der Ausgleichstreffer für die Heubacher in der 98. Minute gefallen war. Das folgende Elfmeterschießen muss eine trostlose Angelegenheit gewesen sein, zumal für die Spraitbacher, die so herzzerreißend nah an der Sensation gewesen waren und am Ende durch ein zweifellos völlig ungerechtes 2:3 (nach Elferschießen) aus dem Pokal flogen.

Was das mit der Bundesliga zu tun hat? Na, nix. Beziehungsweise alles. Denn die Einführung des Videobeweises kann ja nur der Beginn einer Entwicklung sein, an deren Ende unverschämte Ungerechtigkeiten im Fußball gar nicht mehr vorkommen. Perfekt, fehlerlos, objektiv wird sie dann sein, die wunderbare Fußballwelt, und eben voller Gerechtigkeit. Und es wird ein Juchzen und ein Frohlocken in den Stadien der Republik herrschen.

Von wegen. Gar nicht. Machen wir uns mal nix vor: Bei einem Fußballspiel wird auch in 100 Jahren immer nur ein Verein auf einmal gewinnen können, und die Fans des unterlegenen Teams können weiterhin jammern, seufzen, die entsetzliche Gemeinheit der Welt und des Schiedsrichters beklagen, wüst schimpfen und furchtbare Rache schwören – und ihren Verein vor allem aufgrund der erlittenen Ungerechtigkeit noch viel, viel mehr liebhaben.

Doch, das ist durchaus unterhaltsam, was sicher auch die Anhänger des FC Spraitbach bestätigen würden, die nun mindestens 50 Jahre lang im örtlichen Wirtshaus sitzen und über die ominösen drei Minuten lamentieren können – was wesentlich toller ist, als eine Runde weiterzukommen und dann halt in der nächsten rauszufliegen.

Oooops, das wäre dann ja Football

Natürlich ist der FC Spraitbach nicht die große Fußballwelt, aber auch in der werden niemals Sätze wie diese fallen: „Was für ein wunderbar gerechtes Unentschieden das war“, „Eine herrliche, faire Niederlage war das“ oder „Die Hauptsache ist doch, dass meine Nerven geschont wurden“. Nicht mal HSV-Anhänger hätten so etwas gesagt, wenn sie an diesem Spieltag, wie sie es eigentlich kennen, nicht gewonnen hätten.

Im Fußball geht es nämlich nicht um Gerechtigkeit. Wo kämen wir denn dann hin? Dann müsste ja zum Beispiel ein Verein, der das Pech hat, in einer strukturschwachen Stadt angesiedelt zu sein – nennen wir ihn MSV Duisburg – von den Klubs, die mehr Glück im Leben hatten, finanziell unterstützt werden. Und fairer wäre es auch, wenn alle Spieler irgendwie verlost statt immer nur von den Reichsten gekauft würden, und natürlich auch, wenn es eine Obergrenze für Ausgaben geben würde, damit nicht ein Klub dauernd Meister wird.

Oooops, das wäre dann ja American Football, nur halt mit den Füßen. Also keine Gerechtigkeit. Ist auch besser für die vielen FC Spraitbachs, die nur dann mal in der Zeitung erwähnt werden, wenn ein Schiedsrichter gemein zu ihnen war. Weil sie so auch neue Fans bekommen können. Heja Spraitbach!

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Elke Wittich
Journalistin
Schreibt nicht nur über Sport, sondern auch über Verschwörungsideologien, skandinavische Politik und Königshäuser. *** Die ersten Artikel für den taz-Sport gestalteten sich allerdings etwas schwierig: Mit den Worten "Wie, die schicken uns heute eine Frau?" wurde ich beispielsweise vor Jahren von einem völlig entsetzten Vorsitzenden eines Westberliner Fünftligavereins begrüßt. Da war er also, der große Tag, an dem über seinen Club in der taz berichtet werden würde, und dann das: Eine Frau! Ich antwortete ja, ich sei die Strafe und sofort war die Stimmung super. *** Und eines Tages werde ich über diesen Tag und andere, sagen wir: interessante Begegnungen mal ein Buch schreiben.
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1 Kommentar

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  • "Ungerechtigkeit schweißt zusammen!"

     

    Jaja, so wie 1918?