Kolumne Press-Schlag: Der Frauenfußball muss nicht werben
Bei der Frauenfußball-EM in den Niederlanden beklagten Reporter, dass es keine spektakulären Szenen gibt. Doch das ist ein gutes Zeichen.
D er geläufigste aller lobpreisenden Reportersprüche, wenn Frauen Fußball spielen, ist bei dieser EM in den Niederlanden kaum zu hören gewesen: „Das war Werbung für den Frauenfußball.“ Viele halten das für ein schlechtes Zeichen. Schließlich war das ja wirklich schwer konsumierbare Kost. Etliche Spiele der Vorrunde zogen sich mit dem zähen und oft vergeblichen Warten auf spektakuläre Szenen lange hin.
Es ist aber dennoch ein gutes Zeichen. Denn unter Werbung für den Frauenfußball verstand man bislang Despektierliches. Das Aufeinandertreffen mit offenem Visier, ohne taktische Winkelzüge inklusive einer exponentiell hohen Fehlerquote. Strafraumszenen im Minutentakt und spätestens alle zwanzig Minuten ein Tor. So haben die Deutschen bei früheren Europameisterschaften im Unterschied zur aktuellen Russland (5:0) oder Italien (4:0) mühelos auseinandergenommen.
In der Vergangenheit dominierten die Deutschen, und die meisten ihrer Gegnerinnen dilettierten. Ihnen versprangen die Bälle, sie verteidigten ohne System und Ordnung, und sie liefen irgendwann immer langsamer. Solange die Deutschen jedoch gewannen, hieß es stets: „Das war Werbung für den Frauenfußball.“ Die Mischung aus Kompetenz und Inkompetenz wurde zur Attraktion verklärt. Das Lob war ohnehin offenkundig vergiftet. Warum sollte der Frauenfußball überhaupt für sich werben müssen? Dem Männerfußball attestiert man schließlich auch nie, Werbung für sich zu machen.
Diese eigenartigen Lobhudler redeten auch immer der Professionalisierung des Frauenfußballs das Wort. Jetzt aber, da bei dieser EM in den Niederlanden die vermeintlich kleinen Nationen wie Österreich, Italien und die Schweiz mit ihrem taktisch geschulten und professionalisierten Defensivverhalten den großen Favoriten wie Deutschland und Frankreich das Leben schwer machen, mag keiner mehr von der Werbung für den Frauenfußball sprechen.
„Erdbeerwoche“ oder „Besuch von Tante Rosa“: Menstruation ist noch immer ein Tabu. Warum wir endlich offen über sie reden sollten, erklärt die taz.am wochenende vom 29./30. Juli. Außerdem: Hello darkness, my old friend. Zum 50. Jubiläum erhält Mike Nichols' Filmklassiker „Die Reifeprüfung“ ein neues digitales Gewand. Und: Audi, Daimler und Co. Was hat die Autoindustrie in geheimen Arbeitskreisen besprochen? Eine Reportage aus Wolfsburg und Baden-Württemberg. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Dem Fortschritt der Organisation auf dem Spielfeld ist es geschuldet, dass sich selbst so unterschiedlich starke Teams wie Italien und Deutschland gegenseitig nahezu neutralisieren können. Schön anzusehen ist das nicht. Diese Entwicklung zeichnete sich schon bei den letzten EM und WM ab. Das immer noch dominante, aber wenig effektive deutsche Team musste deshalb viel Kritik einstecken. Auch das mag die neue Bundestrainerin Steffi Jones dazu bewogen haben, mit dem Versprechen, ihr Amt anzutreten, attraktiveren Fußball zu spielen. Die Aktiven haben längst den Glauben verinnerlicht, der Frauenfußball müsste sich begehrlich machen, weil er nicht wie der Männerfußball bedingungslos begehrt wird.
Doch Jones hat schnell dazugelernt. Völlig schnuppe sei es ihr, erklärte sie jüngst, wenn ihr Team nur noch mit Elfmetern gewinnen würde. Hauptsache, gewinnen. Der Frauenfußball hat eine neue Entwicklungsstufe erreicht. Es wird Zeit brauchen, Strategien zu entwickeln und das individuelle Vermögen weiter zu verbessern, um die geschultere Defensivreihen der kleinen Nationen wieder in Verlegenheit bringen zu können.
Fußball-EM der Frauen
Nach dem Remis des österreichischen Teams gegen Frankreich dieser Tage erklärte dessen Sportdirektor Willi Ruttensteiner: „Mehr Werbung für den Frauenfußball kann man nicht machen.“ Manche finden aus den alten Denkmustern eben nicht heraus. Das war bislang bei der EM keine Werbung für den Frauenfußball. Und das ist gut so.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren