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Kolumne Press-SchlagHertha und der Toilettengang

Kolumne
von Johannes Kopp

Geheimfavoriten andersrum: Die Berliner Fußballprofis verabschieden sich wieder einmal aus der Bundesliga und keiner bekommt es mit.

Auch die Spieler vermeiden es, genauer hinzusehen Bild: dpa

D ie Spannung im Raum ist kaum zum Aushalten. So viele Teams waren schon lange nicht mehr in den Abstiegskampf verwickelt. Und in der Multikultifußballstadt Berlin drängen sich in einen dunklen Kneipenraum in Prenzlauer Berg Fans unterschiedlichster Couleur zusammen. HSV-Anhänger sitzen mit durchfurchten Gesichtern vor den Flachbildschirmen, Exil-Freiburger stöhnen auf, weil der FC Bayern sich offenbar doch etwas anstrengen will. Ein paar 96-Fans freuen sich über den Führungstreffer in Augsburg. Ja, und selbst Wahl-Paderborner gibt es hier, die einer Chance nach der anderen hinterhertrauern. Das Karussell der Gefühle dreht sich immer schneller. Doch dann ist endlich Hertha bei der Konferenzschaltung dran.

Die Lage beruhigt sich. Handys werden gezückt, einige gehen Bier holen, andere auf die Toilette. Einer, der weiter auf den Bildschirm schaut und den Regen wahrnimmt, fragt: „Ist das Spiel in Berlin? Mist, ich wollte in der Pause draußen eine rauchen.“ Dass Hertha mitmischt im Abstiegskampf, den gerade hier alle so leidenschaftlich verfolgen, wird einfach ignoriert.

Um die Integration der Hertha-Fans ist es wahrlich nicht gut bestellt in Berlin. Sie ziehen sich in der Hauptstadt in ihre Ghettos zurück – in ihre Hertha-Klausen. Sportbars mit rustikalem Mobiliar und ranzigen Vorhängen. Wer den Berliner Mikrokosmos kennt, weiß darum.

Jahrelang hat sich der um Aufmerksamkeit buhlende Klub darüber gegrämt. Nun scheint die Unscheinbarkeit aber zum Programm geworden zu sein. Es ist erstaunlich, wie es dem Verein zuletzt gelungen ist, sich trotz seiner Pleitenserie außerhalb des Radars des Abstiegskampfes zu bewegen. Die Krisenberichterstattung konnte man auf diese Weise zwar lokal begrenzen, die Entwicklung birgt aber auch Gefahren. Der Verein ist dabei, den Begriff des Geheimfavoriten mit neuem Leben zu füllen. Ansonsten gelten ja immer die Teams als Geheimfavoriten, von denen alle sprechen. Vor der WM in Brasilien etwa die kolumbianische Nationalmannschaft.

Trügerische Sicherheit

Die Berliner muss man unterdessen im Abstiegskampf favorisieren. Sie haben das Zeug dazu, wirklich klammheimlich die erste Liga zu verlassen. Dazu muss nichts Außergewöhnliches passieren. Hannover und Freiburg trennen sich nächsten Samstag einvernehmlich unentschieden, der aufstrebende VfB Stuttgart gewinnt mit zwei Toren Abstand in Paderborn und Hertha verliert ebenso hoch in Hoffenheim. Ein Relegationsplatz wäre die Folge. Und in derartige Entscheidungsspiele würden die Berliner völlig unvorbereitet hineinstolpern. Spieler und Trainer vermittelten bis zuletzt eine trügerische Sicherheit. Pal Dardai witzelte am Samstag, man werden mit Messern zwischen den Zähnen nach Hoffenheim zum letzten Spieltag reisen und sich der Abstiegsgefahr erwehren.

Außerhalb der Hertha-Ghettos in Berlin wird sich die Abwesenheit des Vereins in der Eliteliga kaum bemerkbar machen. Sie spielen sowieso schon außerhalb der Konkurrenz. Wobei ein Problem stellt sich doch in einer herthafreien Bundesliga: Wann geht man künftig am besten auf Toilette?

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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1 Kommentar

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  • ich bin ja - als langjährig leid-erprobter Hertha-Fan - der Meinung, dass der Abstieg das Beste wäre, was dem Verein passieren kann. Dann wird es endlich endlich endlich mal echte Konsequenzen geben (neues Management, rote Karte für Preetz) und nicht nur halbherziges Feuerlöschen.