Kolumne Press-Schlag: Die Bundesliga ist verrückt geworden
Felix Magath ist zurück in Wolfsburg und Ralf Rangnick auf Schalke. Ist die Liga von allen guten Geistern verlassen? Dadaisten hätten ihren Spaß an diesem Wirrwarr.
J etzt scheint alles möglich. Nachdem Felix Magath den VfL Wolfsburg wieder übernimmt, ist es durchaus im Bereich des Möglichen, dass Dettmar Cramer (jüngst vom DFB ausgezeichnet für sein Lebenswerk) und Udo Lattek den FC Bayern umkrempeln. Begründung: geballte Erfahrung, riesige Reputation und eine gewisse Meisterschaft bei medialen Doppelpässen.
Thomas Doll sollte schleunigst zum Hamburger Sportverein zurückkehren, denn er könnte das zwischenmenschliche Klima im kühlen Norden anheizen. Otto Rehhagel muss Berater in Bremen werden, Louis van Gaal Trainer-Chefausbilder an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Peter Neururer sollte als Springer für in Not geratene Vereine fungieren und aus einem Topf der DFL bezahlt werden. Denkbar ist auch ein größer angelegtes Rotationsprinzip der Trainer, damit keine Langeweile aufkommt und die Vorstände bei der Suche entlastet werden. Besonders hanebüchene Berufungen sollten von der DFL am Saisonende prämiert werden. Unbedingt sollte Luigi Colani einen Preis designen. "Nille des Jahres" wäre ein passender Titel.
Ralf Rangnick wäre ein Kandidat dafür. Er ist an den Ort seiner einstigen Demütigung zurückgekehrt und sollte spätestens in zwei Jahren die Zerlegetechnik von Aufsichtsrat Clemens Tönnies studieren dürfen. Gefahren an Leib und Leben sind nicht auszuschließen, denn der Herr Tönnis ist nicht zimperlich. Gut, wird Rangnick sich gedacht haben, Rudi Assauer ist nicht mehr da, Tönnies ist die meiste Zeit mit seinen Gehacktesmischungen beschäftigt, und ein paar Mille in zwei, drei Jahren sind auch nicht übel. Aber sind das denn gute Gründe, um über seine damalige Demontage auf Schalke hinwegzusehen?
"Wahnsinn in Reinform"
Man merkt ziemlich genau, wenn die Bundesliga ein bisschen verrückt geworden ist. Dann greift nämlich sogar der altehrwürdige kicker zu Begriffen aus der Psychopathologie. Die Nachricht von Magaths neuerlicher Usurpation der VW-Fußballabteilung überschreibt das Fußballmagazin in seiner Onlineausgabe mit der Zeile: "Wahnsinn in Reinform". Ganz richtig: Man will sie gar nicht treffen, die kreglen Headhunter dieser Liga. Nachhaltigkeit ist für sie offenbar eine Hieroglyphe. Übungsleiter bestimmen sie anscheinend per Losverfahren oder in parapsychologischen Sitzungen. Dadaisten hätten ihren Spaß an diesem Gaga, aber geht es im Unterhaltungsbetrieb Bundesliga nicht auch um vernünftiges Wirtschaften und Weitsicht?
Okay, wir wollen nicht vorschnell urteilen: Sie werden sich schon ihre Gedanken gemacht haben, die Headhunter. Aber es müssen Gedanken sein, die sich immer nur im Kreise drehen - so wie das buchstäbliche Trainerkarussell. Während man annehmen sollte, die Trainer von gestern werden durch die Fliehkräfte eben dieses Trainerkarussells in den Orbit geschleudert, wahlweise auch in Rosengärten oder auf Altersruhesitze, plumpsen sie derzeit wieder auf ihren ollen Trainersessel: Rangnick auf Schalke und Magath beim VfL.
Am Donnerstag sagte Pierre Littbarski, Felix Magath habe den VfL Wolfsburg mehr oder weniger ruiniert. Er habe ihm zwar die Meisterschaft beschert, sie musste aber mit einer Auszehrung der Spieler und des Vereins teuer erkauft werden. Trotzdem kann man verstehen, warum die VW-Bosse Magaths Aura nicht widerstehen konnten. Magath ist so trickreich wie das tapfere Schneiderlein in den Werken der Brüder Grimm. Das Schneiderlein macht dem Riesen vor, es könne Wasser aus einem Stein pressen.
Der Riese kapiert nicht, dass der kleine Mann nur Käse in der Hand hält, den er auswringt wie ein feuchtes Tuch. Der Trick mag einmal gelingen, aber ein zweites Mal? Auf Schalke hat Magath bewiesen, dass seine Allmacht (Trainer, Manager, Vorstand) an der Vereinshistorie zerschellen kann. In Wolfsburg immerhin kann sich Multifunktionär Magath über die (kaum vorhandene) VfL-Geschichte mit Leichtigkeit erheben.
Fußball als Possenspiel
Die Zeit hat in einem Beitrag einmal geschrieben, Magaths Autorität sei wie eine Schlinge. "In Wolfsburg hatte er ein Seil um die Mannschaft gespannt, das sich zuzog." Die Spieler brachten trotzdem oder gerade deswegen Höchstleistungen. "Doch als er zum FC Schalke wechselte, weinte ihm in Wolfsburg niemand nach. Das Seil erschlaffte, die Mannschaft purzelte auseinander und verlor sich wieder im Mittelmaß." Nichts anderes hat Littbarski sagen wollen. Aus der mittelmäßigen Mannschaft ist mittlerweile eine hundsmiserable geworden; der VfL kämpft gegen den Abstieg.
Derart in der Bredouille soll der Bondage-Künstler also wieder knoten und schnüren dürfen wie weiland. Die Spieler freuen sich bestimmt schon darauf, dass sie die Rampe des Erfolgs mit Medizinbällen hinaufrennen dürfen. Sie müssen sich dem neuen alten Trainer ausliefern wie der gesamte Verein. Wolfsburg macht bei diesem Spielchen offenbar gern mit. Auf Schalke hat man indessen begriffen, dass Magath nicht - wie er gern behauptet - größer als der Verein ist. Schalke ist groß genug, um das Kapitel Magath zu vergessen. Wolfsburg ist klein genug für die großen Interessen des schlauen Mannes.
Und das alles soll reinem Wahnsinn entspringen? Mitnichten. Der Fußball als Possenspiel hat nur zu sich selbst gefunden. Oder anders gesagt: Für die einen vermag das tapfere Schneiderlein einen Stein kilometerweit zu schleudern, die anderen wissen, es war ein Vogel.
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