Kolumne Press-Schlag: Einfach die Dosis erhöht
In Frankreich und Holland warten auf die neuen Nationaltrainer altbekannte Probleme. Sie müssen aus begnadeten Individualisten schlagfertige Teams formen.
Z wei neue Trainer. Und zwei Scherbenhaufen, die sie nun zusammenkehren dürfen. So unterschiedlich Didier Deschamps und Louis van Gaal als Menschen sein mögen und so verschieden die Fußballkultur in Frankreich und den Niederlanden sein mag: auf die beiden Fußballtrainer, die nun die Nationalmannschaften ihrer Länder übernehmen dürfen, warten sehr ähnliche Aufgaben.
Beide Mannschaften haben bei der eben zu Ende gegangenen Europameisterschaft wieder bewiesen, dass sie bei großen Turnieren nicht funktionieren. Weder Bert van Marwijk noch Laurent Blanc gelang es, aus Einzelkönnern eine Einheit zu formen.
Der Fußball, den ihre Mannschaften spielten, war kleiner als die Summe der einzelnen Teile. Doch ein Trainer sollte im Idealfall das Gegenteil bewirken. Folgerichtig mussten van Marwijk und Blanc gehen.
Nun sollen also Louis van Gaal und Didier Deschamps schaffen, woran ihre Vorgänger gescheitert sind. Vor allem bei van Gaal darf man bezweifeln, ob er dafür auch der richtige Mann ist. Der 60-Jährige verkündete zwar bei seiner Vorstellung, diese sei „die Aufgabe, auf die ich gewartet habe“.
Verpasste WM-Quali 2002
ist Autor der taz.
Aber nicht nur die niederländische Presse erinnerte sich schnell daran, dass van Gaal nicht nur in seiner ersten Amtszeit als Bondscoach von 2000 bis 2002 die WM-Qualifikation verpasste, sondern sich in seinen Klubs gern mit den etablierten Stars überwarf.
Sein, gelinde gesagt, leicht autoritärer Führungsstil funktionierte am besten bei jungen Talenten, als er 1995 mit der Teenietruppe von Ajax Amsterdam überraschend die Champions League gewann, oder mit aufopferungsvoll kämpfenden Namenlosen in Alkmaar, wo er mit dem Außenseiter AZ 2009 sensationell die Meisterschaft holte.
Sowohl beim FC Barcelona als auch bei Bayern München dagegen scheiterte van Gaal schlussendlich nicht an fehlenden Erfolgen, sondern an seiner fehlenden Integrationsfähigkeit. Doch gerade als Nationaltrainer muss man heutzutage weniger Fußball-Fachmann sein als vielmehr Moderator mit psychologischem Gespür, der die aus ihren Klubs eine Sonderrolle gewöhnten Stars zu einem Team zu formen versteht.
Für diese Aufgabe hilfreich ist auch eine natürliche Autorität, die Laurent Blanc zweifellos besaß. Der erhielt nicht umsonst als Abwehrchef der goldenen französischen Generation um Zinedine Zidane den Beinamen „le Président“. Doch selbst der Präsident versagte angesichts der Aufgabe, aus einem Haufen extrem talentierter Fußballer eine funktionierende Mannschaft zu machen.
Ein Mittel, das bereits versagt hat
Das, woran schon Blanc verzweifelte, soll nun Deschamps richten. Doch der ist als Kapitän jener Welt- und Europameistermannschaften eigentlich dasselbe in Grün für „Les Bleus“. Wäre der französische Fußballverband ein Arzt, versucht er gerade den Patienten Nationalmannschaft zu kurieren mit der erhöhten Dosis desselben Mittels, das bereits einmal versagt hat.
Ähnlich wie van Gaal war auch Deschamps als Trainer vor allem dann erfolgreich, wenn er nicht allzu ausführlich mit kapriziösen Spielern konfrontiert wurde. Er betreute zwar mit Erfolg große Klubs, aber Juventus Turin führte er aus der zweiten italienischen Liga wieder ins Oberhaus, bevor er im Streit ging.
Und in Frankreich holte er den Titel nach Marseille mit einem Olympique-Team, in dem die ganz großen Namen fehlten. Da die beiden nicht eben als einfühlsame Starbetreuer auffällig geworden sind, bleibt van Gaal und Deschamps eigentlich nichts anderes übrig, als völlig neue Mannschaften aufzubauen.
Wenig Zeit
Dazu aber fehlt beiden neuen Nationaltrainern die Zeit: Im August stehen die nächsten Länderspiele an und am 7. September beginnt bereits die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Brasilien.
Dann muss Frankreich gegen Weißrussland antreten, und die Niederlande empfangen die Türkei. Keine unlösbaren Aufgaben, aber man darf gespannt sein, mit welchen Spielern Louis van Gaal und Didier Deschamps glauben sie lösen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers