piwik no script img

Kolumne ParallelgesellschaftenNix Drogen, nix Alkohol, nix Gras

Ali will raus aus Neukölln - aber mit 600 Euro monatlich wird er nicht weit kommen.

Bild: taz

Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei. Foto: taz

Wie er die Welt sieht? Ali versteht schon die Frage nicht. Er macht Pause. Bei mir. Behält seine Klamotten an, schnauft aus, 20 Jahre, offenbar schlecht bei Kondition, der Aufstieg in den fünften Stock ist nicht, er atmet schwer und sagt: "Ich hau gleich wieder ab." Eine Straßenbekanntschaft ist er, Berührungspunkte zwischen uns gibt es keine, außer dass er nach der Uhrzeit fragte und um ein Glas Wasser bat, und ich wiederum beide Bitten niemals einem Menschen abschlagen würde, denn es ist vielleicht nicht modern, hilfsbereit zu sein, aber: Wem stünde das nicht?

Er heißt Ali. Oder Mohammed. Mal so, mal so. Wohnt an Neuköllns Südgrenze, fast schon Brandenburg, drei Brüder, drei Schwestern, Schule nach der siebten Klasse abgebrochen, "was soll ich Schule? Ist schwer. Stimmt? Ja, ich arbeite lieber. Oder?" Vor Wochen in einer Autolackiererei, neulich als Gemüsekistenschlepper, "ich muss jetzt andere Job machen", morgens ist es kalt, "meine Finger, gefroren", bei all der Plackerei mit Zwiebel-, und Salat- wie Kartoffelkästen. 600 Euro war sein Lohn, "kriegt meine Mutter, kann sie besser einkaufen, 500, ich Taschengeld 100".

Ali ist süße 20, das ganze Leben noch vor sich, das ganze. Er erzählt, ohne das als Weltanschauung oder Erzählung zu verkaufen. "Kennst du Disco Kuhdorf? Ja? Warst schon mal drin?" Drei Mal, vier Mal? "Ich wollte. Aber nix da. Türsteher sagt, Ausländer machen nur Scheiße. Ich zu ihm, was, wieso? Hatte mich schön gemacht, Gel im Haar, guten weißen Anzug, geputzte Schuhe, na, ist das schön, oder? Stimmt, was?" Trinkt Wasser. Und fährt fort: "Was soll das? Ich geb nix irgendeinen ne Schelle oder drei. Nur tanzen. Sitzen, schöne Mädchen, ist das Wochenende. Stimmt, ne?"

Und dann: "Sind zu viele Ausländer hier. Immer so laut. Immer schreien. Immer immer immer." Er verwendet keinen Schimmer an die Idee, dass alle deutsche Welt ihn als ebensolchen sehen würde. Einen jungen Mann, der ja im Grunde laut ist, leidenschaftlich, empört, mit der Welt also alterstypisch im Unreinen, empfindlich für Herabsetzungen, "denn ist doch klar, oder, ich will nur mal Spaß haben, schöne Dinge sehen. Ich habe kein Messer in der Tasche", greift an die Seite seiner Cargohose, holt ein Papiertaschentuch heraus, "ja, ist das ein Messer? Ich gehe mit einem Freund spazieren. Kommt die Polizei, sagt, verkaufst du auch Drogen? Ich, nee, nix Drogen, nix Alkohol, kein Gras. Also grüß ich den Typ nur noch von der anderen Straßenseite, aber der kommt und will mit mir spazieren gehen, und dann kommt die Polizei, sollen mich in Ruhe lassen. Stimmt?"

Noch ein Schluck Wasser, er holt sich die Flasche, "mein Mund trocken, muss sagen, mein Cousin will auch nur Gemüse verkaufen, Sonnenallee im Laden, aber da wird auch immer nur geschrien, aber ich will Ruhe, meine Brüder sind laut, meine Schwestern", und er ist es inzwischen auch. Und wie! Einer, der sich aufregt, der ein gutes Leben will, und als ich so denke, fragt er mich, "hast du eine Frau für mich, Familie gründe, vier Kinder, alle gut in Schule, am Wochenende machen wir dann einen Ausflug ans Wasser", und in der Sekunde ist doch klar, dass Ali in Bälde dieser Sehnsucht nicht näher kommt, mit 600 Euro auf die Hand, schwarz "und auf die Kralle", da geht mit Familiengründung und Hochzeit im Familienkreis, ganz in Weiß und mit vielen Hoffnungen versehen, absolut gar nix.

So ohne Kumpel, der ihn anheizt, der ihm sagen würde, Mensch, Ali, alles wird gut, spar und kämpf dich durch, zieh woanders hin, lass deine Eltern und Geschwister hinter dir, mach dein eigenes Ding, sonst wird man dich immer verdächtigen, irgendwie doch gefährlich zu sein, hält man dich für das, was grobe Gemüter unter Islam verstehen.

Nein, tu was. Aber was sollte er tun? "Meine Mutter kocht, meine Brüder beschützen mich", er ist ja ernsthaft klein, allerhöchstens 1,60 Meter und von schmaler Statur. Er will aus seiner Neuköllner Welt immer raus, mal zum Kudamm, einfach in die Ferne, mal die ganze Welt sehen - aber wie soll das gehen? Mit 600 Euro im Monat? Ali findet, "die Ausländer, die machen meine Ohren kaputt, es beißt". Er weiß nicht, dass er sich irrt.

Fragen zu Ali? kolumne@taz.de Morgen: mailto:Philipp Maußhardt über mailto:Klatsch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • O
    Onkelklausi

    Neulich im Zug (ja ich traue mich noch),

    montag morgen in Hessen im Zug, auf dem Weg nach Rheinland-Pfalz habe ich die taz gelesen und neben zwei jungen Männern gesessen, für die Herr Koch schon mal präventiv einen Platz im Boot-Camp reserviert hätte, wäre er an meiner Stelle gewesen.

    Titelbild der taz war: Roland Koch droht Abschiebung. Die zwei Jungs haben irgendwann Roland Koch erkannt und sich über die Wahl (!) unterhalten, irgendwann haute einer der beiden mir gegen die Zeitung und fragte in launigem Ton: "Ey, sag mal, waren die Wahlen schon?" "Ja gestern." schob ich erstaunt ob des Interesses der Zwei mit Migrationshintergrund hinterher. "Wie ist ausgangen?" kam daraufhin, nicht ganz unverständlich, zurück. "Keiner hat gewonnen." War die passendste Antwort, die mir einfiel, da ich selbst noch etwas verweirrt von dem Wahlergebnis war. Der nächste Satz erfreute mich dann allerdings doch sehr, sie hatten vom Wahlkampf was mitbekommen: "Hoffentlich nicht der Koch dieses dumme Arschloch!" "Nein der hat eins auf den Deckel gekriegt" antwortete ich.

    Dann standen sie hektisch auf und stiegen an der nächsten Haltestelle aus, da der Kontrolleur hinten angefangen hatte seinem Beruf nachzugehen.

    Na also, dachte ich, die 16-jährigen sind doch gar nicht so schlimm, ich hätte Koch übler beschimpft.