Kolumne Parallelgesellschaften: "Das kleinere Übel ist auch schön"
Die sind echt nicht zu beneiden, die Grünen: Müssen dauernd erklären, warum ihr Horizont plötzlich ganz schwarz wird.
Jan Feddersen (50) ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei
Man muss es immer wieder betonen, als sei man eine Gebetsmühle: Nein, Ökologie ist keine Geschmacks-, sondern eine Schicksalsfrage; nein, Bioladen ist nicht, wenn alle an der Kasse stehen und nichts vorangeht, weil alle noch jedes Lebensmittel besprechen wollen; und ja, die Grünen sind die Hoffnung. "Aber nein", sagt Angelika, die Biobrotverkäuferin meiner Wahl, "die Grünen sind doch echt nicht mehr so, wie sie mal waren", nimmt ein gentechnisch unbehandeltes Weizenbrot aus dem Regal und fährt fort mit den Worten, "das mit der CDU, ich meine, die Partei des Atoms und der Herdprämie", das ginge ja überhaupt und gar nicht.
Eigentlich werden die Grünen in meinem Neukölln ja auch kräftig gewählt. Und auch wenn es Menschen aus den feineren Mittelschichtsquartieren nicht glauben mögen: Dieses Neukölln hat mit schlägernder Rütli-Kultur etwa so viel zu tun wie der feine Grunewald, wo ja hauptsächlich die Union gewählt wird, mit deutschnationaler Gesinnung. In meinem Viertel ist vieles durcheinander, wenn man das mal so zusammenfassen will, aber die ökologische Sache ist auch vertreten. Aber so viel ist doch sicher, nicht wahr: Die Grünen sind hier so fern wie die Union, die SPD näher und die Linken mählich ebenso.
Aber Angelika, selbst in der Nähe des Rathauses zuhause, ihre Kinder bringt sie zur nahen Grundschule, tapfer verweigert sie jeden Schultransport in Gegenden, wo die Klassen nicht zu 94 Prozent nichtdeutschmuttersprachlich besetzt sind, diese Angelika beharrt: "Guck dir doch mal die Grünen an, so mit Perlenkette, Anzug und geschmeidigen Reden. Das kann doch an unserer Basis keiner aushalten. Die finde ich nicht mehr glaubwürdig." Schwach erwidere ich, dass eine ästhetische Kritik kein politisches Argument ersetzen kann, auch wenn man es schwer hat, diese mitbürgerliche Gediegenheit der Ökofunktionsträger auszuhalten. Die sollen mal an Bauzäunen demonstriert haben?, fragt man sich, die wollten Antiparteienpartei sein, schworen, niemals sich mit den Herrschenden gemeinzumachen? Und sind es jetzt selbst?
Robert, rastafarihafte Filzfrisur, der Mann in diesem Ökoladen mit Zuständigkeit für das ungespritzte Gemüse, sagt traurig: "Mit der CDU jetzt ins Bett zu gehen, das wäre für mich nix. Ich geh doch auch nur mit der Angelika kuscheln." Natürlich, mein Lieber, ökosonnenklar. Aber kollidiert diese Treue zum Objekt der Liebe nicht vor allem mit der Lust am Abenteuer - und verspricht eine Allianz mit den Wertkonservativen nicht gerade dies, nämlich on the road again zu sein, Easy Rider des Zeitgeistes - zumal die CDU doch nicht so übel ist, sich auch verändert hat, innerlich, wertemäßig, moralisch, ethisch, oder?
Mitten im Multikultikiez, eingezwängt zwischen einem Dönerraspler und einer altdeutschen Bierschwemme, das Frühstück ab acht für ein Euro achtzig, da gucken beide ratlos. "Wir", sagt Robert, "ja wir", fährt die Angelika fort, "hoffen, dass die Ladenmiete nicht wieder steigt, dass die Grünen keine Gentechnik freigeben und dass die Menschen gutes Essen bekommen und satt werden."
Klare Sache, hmmh? Neuköllner Ökos haben mit den Grünen ihren halben Frieden gemacht, mit der Union ist keine Feindseligkeit mehr. Was will man mehr - Aufruhr und Skandal um ein politisches Bündnis, das noch vor vielen Jahren als abwegig empfunden worden wäre? Meine beiden Brot- und GemüsedealerInnen wollen ihre Nische. Mit ihnen herrscht Ruhe im Land, bleierne, gleichgültige Stille. Sie sind angekommen, sie sorgen sich über Mieten, klauende Schüler, wobei der Robert wie die Angelika sagen, ihre Süßigkeiten würden nicht so oft geklaut, "die sind wohl nicht süß genug". Aber wer regt sich denn ernsthaft auf über Schwarz-Grün in diesem blassen Winter?
Künstliche Aufregung ists um diese mögliche, ja erwartbare Koalition der einstigen Feinde. Keine Leidenschaft, irgendwie, mehr. Die Ladentür geht auf, ein Mädchen bleibt stehen und bittet: "Meine Mutter fragt, ob Sie auch Brot von gestern haben, zum halben Preis?"
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