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Kolumne ParallelgesellschaftenWas man sehen will, das sieht man

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Warum erkennen Linke eigentlich dauernd nur das Schlechte? Hat sich nicht vieles gebessert?

E igentlich ist jeder und jede eine Parallelgesellschaft für sich. Was eineR sieht, ist nie das Gleiche wie das, was einE andereR in den Blick genommen zu haben glaubt. JedeR ist ein Universum - das mag man göttlich nennen, und das könnte der Kern dessen sein, was das Christliche uns sagen möchte. Wer sagt, in Deutschland lebten Parallelgesellschaften, vor allem solche muslimischer Prägung, weiß nicht, wie es in anderen Teilen der Welt aussieht, wo echte Segregationen zu verzeichnen sind. Also: Schluss mit der Debatte um Muslimisches. Sie langweilt. Die einen sagen, ist doch alles kein Problem - was Unfug ist -, die anderen, alles sei ein Problem, was sich auf Allah reimt, was auch nichts als Dünnsinn ergibt. Kurzum: Neukölln ist schön. Wer es dort schafft, packt es überall.

Andererseits. Finde ich, dass sich die Welt doch teilt in zwei Gesellschaften, die einander in größtem Unverständnis gegenüberstehen. Die einen erkennen ein zu 50 Prozent gefülltes Glas irgendwie immer als halb gefüllt, die anderen als bereits fast geleert. Die anderen sehen in der Zukunft ein mögliches Allerlei, die anderen fürchten genau diese, weil sie Verhängnis birgt und überhaupt alle Übel, die die Welt noch bringen könnte. Das sind Apokalyptiker, Jenseitssucher - wo alles endlich in Ordnung ist -, überhäufig Christen, die auf das Heil warten, weil es das auf Erden nicht geben kann, zumal, wie erwähnt, das halb gefüllte Glas garantiert ausgeschüttet werde von finsteren Mächten.

Sehr gern gehören zu dieser Gesellschaft, die allerdings zu der meinigen heftig parallel funktioniert, jene, die sich Linke nennen. Nein, ich meine nicht Marxisten oder andere, die irgendwie mit einer gewissen Kühle die Dinge des Lebens sich angucken, ich meine die gläubige Linke, die dauerhaft alles ins Elend, ins Schlimme stürzen sieht - und sie verzweifeln an uns, den anderen, weil wir ihnen ja nicht zuhören in allem, was sie vor sich warnen und dräuen: Zunehmend ist die Welt in Gefahr, finden sie. Und das könnte so sein, aber damit das nicht zur gedanklichen Masche wird, schauen die anderen, also wir, lieber etwas genauer hin.

Ist wirklich immer alles in Gefahr? Das Gesundheitssystem, die soziale Marktwirtschaft, die Gerechtigkeit? Könnte ja sein, aber: Warum ist sie das im immer gleichen Ton seit gefühlt ewigen Zeiten? Ist nicht auch vieles besser geworden, etwa in puncto Lebenserwartung und Alphabetisierung - auch global? Und woran liegt das? Wissen wir das wirklich? Lohnt sich womöglich die Ermittlung von Gründen, woran das liegt, und wäre nicht schön, verzichtete man mal wenigstens einige Zeit auf Horrorformeln wie Neoliberalisierung und Globalisierung?

Ich will doch nur sagen: Das immer Negative ermüdet. Es dauerhaft zu betonen dürfen Halbwüchsige, jenseits der erweiterten Volljährigkeitsgrenze hat es doch etwas Albernes und Gräuelpropagandistisches. Könnte nicht auch sein, das Leben als Schönes zu schildern, nicht als Systemfehler?

Neukölln, um mal lebenspraktisch zu werden, mein Viertel, braucht alles, vor allem Geld für eine bessere Schulpolitik gerade hier, aber keine Beschwörung, dass alles vergebens sei.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

5 Kommentare

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  • C
    claudia

    Schön, eine positive Sicht ist immer möglich.

    Nehmen wir den Artikel über Klamotten bei Lidl und Ausbeutung von Näherinnen in Asien. In einem Kommentar wurde auch auf KIK hingewiesen.

    Wir wollen die gute Seite nicht verschweigen: Immer mehr Menschen in diesem unserem Lande sind so arm, daß sie sich teurere Kleidung nicht mehr leisten können. Das ist die wohltätige Seite von Lidl, KIK, und noch ein paar Anderen: Was täten die Armen hier denn ohne diese Billiganbieter?

     

    >>Die einen erkennen ein zu 50 Prozent gefülltes Glas irgendwie immer als halb gefüllt, die anderen als bereits fast geleert.>>

    Die sehen das fälschlicherweise nicht statistisch. Wenn 15 % ein volles Glas haben, 70 % ein halbvolles und 15 % ein leeres Glas, was hat dann der Durschnittsbürger? Richtig, ein halb volles Glas. Da sollte man nicht nur meckern, denn halb voll ist auf jeden Fall besser als leer.

     

    >>...Das Gesundheitssystem,...>...die soziale Marktwirtschaft...>...Gerechtigkeit

  • M
    Michael

    Sehr geehrter Herr Feddersen,

     

    aus vollem Herzen stimme ich Ihnen zu und danke Ihnen für diesen Artikel.

     

    Möge er auch von der TAZ-Redaktion und vor allem von den vielen unsäglichen Kommentatoren auf TAZ-online gelesen werden!

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Michael B.

  • JJ
    Jared J. Myers

    Huch - die Miesepetrigkeit hatte ich bisher für ein Vorurteil der Yuppies gegen Linke gehalten. Enthalten sich nicht die wahren Miesepeter konsequenterweise jeden Engagements?

     

    Vielleicht wird der Eindruck der "Miesepetrigkeit" einfach durch die unterschiedliche Blickrichtung Rechter, Liberaler und Linker hervorgerufen: Rechte gucken auf das, was sie als ihre Heimat definieren (Gruppe, Ort, Land, Firma ...) und wollen, dass diese im Vergleich mit anderen besonders gut dasteht.

     

    Liberale (ich denke dabei eher an Dahrendorf als an Westerwelle) sind im wesentlichen Utilitaristen: Sie wollen alles erlauben, was das durchschnittliche Wohlergehen hebt.

     

    Auf der Linken finden sich dagegen vor allem Kantianer, die erreichen wollen, dass sich alle - und zwar ALLE - aus ihrer Unmündigkeit und Abhängigkeit befreien können, die oft materielle Not bedingen.

    Damit wäre eine Gesellschaft danach zu beurteilen, wie gut es ihrem schwächsten Mitglied geht.

     

    Ich teile diese Weltsicht. Um da zu arbeiten, wo es den Leuten besonders schlecht geht, kann und darf man allerdings kein "Miesepeter" sein!

  • AL
    Andreas Luttermann

    Lieber Jan Feddersen,

     

    ihrer Kolumne möchte ich in dreierlei Hinsicht widersprechen.

     

    Zum einen ist ‚jeder ein Universum’ sicher nicht der Kern der christlichen Botschaft, es scheint mir dies eher ein ‚aufgeklärter’ Standpunkt zu sein. Als Christen sind wir wohl eher alle ‚in Gott’.

     

    Dann ist die Frage, ob die Welt gut oder schlecht sei und auch die, ob sie schon besser geworden sei, dann keine der Weltanschauung, wenn man das Leiden des Schwächsten in den Blick nimmt. Das kann nicht immer gelingen, daran kommen wir aber nicht vorbei, meine ich. Dass beispielsweise stündlich soundsoviel Kinder einfach verhungern ist mal eine Tatsache.

     

    Zum dritten möchte ich dem Unterton widersprechen, dass Linke per se irgendwie miesepretrig sind.

     

    Es grüßt sie

     

    Andreas Luttermann

  • A
    anke

    Keine Ahnung, Herr Feddersen, was für linke Typen Sie kennen, aber die, die immer Stein und Bein schwören darauf, dass alles vergebens sei, sind gewiss keine echten Linken.