Kolumne Parallelgesellschaft: Die Unbotmäßige kleinkriegen
Warum Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Politikerin des Jahres ist und Beistand wie Großzügigkeit verdient. Gerade auch, weil sie Ärzte eben nicht als Halbgötter behandelt.
S ie wird sich bei Rita Süssmuth erkundigen können, wie das ist, wenn man es sich mit den Herrschaften verdirbt und daraufhin in eine Art gesellschaftlichen Mörser gepackt wird, auf dass man zermalmt werde. Die frühere Unionspolitikerin der ersten Reihe wurde zum Abdanken gezwungen mithilfe einer konstruierten Geschichte um nicht abgerechnete Privatflüge, weil sie verhältnismäßig unverhüllt Kritik am damaligen Kanzler (und "Parteifreund") Helmut Kohl übte.
Und nun, als Sommerschmierentheater, Ulla Schmidt, Gesundheitsministerin, die pünktlich zur Bundestagswahl über den Umstand verleumdet wird, dass sie in ihren Ferien in Spanien den Dienstwagen samt Fahrer mit im Gepäck hatte. Und was geschah? Die halbe Nation heuchelt und findet diese Frau des Amtes unwürdig - und es sind in etwa die Gleichen, so darf man mit Blick auf ihre Kritiker stark unterstellen, die sonst Abgabenbetrug (frisierte Steuererklärungen, geschmuggeltes Benzin wie Zigaretten im grenznahen Ausflugswesen) wie akkurat geschorene Gartenhecken pflegen und hegen.
Der Umstand, der nun Ulla Schmidt zum Straucheln bringen soll, ist eine Ausrede. Eine gute Gelegenheit, es einer Frau heimzuzahlen, die während der vergangenen sieben Jahre es mit Kreuz und erhobenem Haupt mit der halben Standesbrut der Mediziner und Ärzte aufgenommen hat. Das war schon schlimm genug, aber dass sie nur in den politischen Händeln mit der Union einknickte, nicht schon an sich auf Druck der medizinischen Verbandsbünde, war für jene Schicht, die noch auf Stand, Hausmusik und glänzende Biografien, hält, eine Zumutung.
Jan Feddersen ist taz-Redakteur.
Ulla Schmidt gibt das Bild einer Frau ab, das an phallischer Kraft, so die Fantasie, kaum zu überbieten ist. Kein Mäuschen, sondern eine Jägerin und Steherin - keine Arztgattin, sondern die als Ärztin allenfalls ein Gespiel hätte, wenn schon keinen Ebenbürtigen. An Ulla Schmidts Dienstwagenspesenaffäre, der sogenannten, lässt sich der Stand der Geschlechterfrage fein dekonstruieren.
Eine Frau in der Politik darf so smart-geschlechtslos agieren wie Annette Schavan, so überemotional wie Claudia Roth, so tantentöchternhaft wie Ursula von der Leyen, so gediegen-klassensprecherinnenhaft wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, aber nicht so ersichtlich angriffslustig und kühl zugleich wie die Sozialdemokratin aus Aachen. Man fürchtet sie als Frau, die sich körperlich, im Kampf, offenkundig genießt.
An ihr greift man an, dass sie einst im sogenannten Rotlichtmilieu kellnernd jobbte, um sich das Studium zu finanzieren; man hasst sie, weil sie das kulturelle Kapital der Ärzteschaft nicht gesattelt zu haben scheint und doch den Mund aufmacht - und weil sie Ärzte behandelt wie andere, jedenfalls nicht wie geniale Halbgötter.
Sie wirkt unbotmäßig, ja verstockt, aber mit dieser Methode hatte sie Erfolg. Sie glänzt, indem sie die anderen kleinzumachen schien - sie gibt das Bild einer politisch Hungrigen ab, die unbedingt aufsteigen wollte und nicht katzbuckeln vor den Großkopferten. Zum spanischen Dienstwagenurlaub sagte sie: "Das stand mir zu" - und Journalisten blamierten sie als Hochmütige, weil sie ihren Nachsatz wegschnitten, nämlich "wie anderen Politikern auch".
"Auch" - das ist das Wort, das Ulla Schmidt gewiss gut findet. Sie wollte nie Dienstmädchen der Medizinstände sein, sondern auch politisch gestalten, ihren Überzeugungen von Gerechtigkeit gemäß. Das entsprach auch persönlich ihrem Lebensroman: Sich nicht von den Starken unterkriegen lassen. Ärztefunktionäre dachten, sie sei eine Sekretärin. Dass sie irrten, wollen sie ihr nicht verzeihen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung