Kolumne Parallelgesellschaft: Wohlige soziale Kälte
Unsere Kreise im Zeichen der Krise: Zum Verzweifeln gelassen.
D ie Steffi kenn ich schon lang, es sind schon Jahre, die wir uns grüßen; mit dem Magnus hat sie heute Vormittag Platz genommen in einem der Cafés, die dieses Szeneviertel inzwischen in sich weiß. Wo einst Elend man nur sah, blüht nun das Modische. Wer kann, zieht hierher. Jedenfalls die Steffi. Hat neulich Grüne gewählt, "ohne Bauchschmerzen", wobei man wissen muss, dass sie, die angehende Ökobetriebswirtin, niemals im Leben etwas macht, ohne ihren Bauch zu befragen.
Wenn dort Schmetterlinge sich tummeln, wie sie einmal mir verriet, wenn, wie ich ihr giftig sekundierte, sie also im Leben wie eine baumelnde Seele steht, dann ist es recht. Heute muss ich wissen, ob sie schon die soziale Kälte heimgesucht hat, jetzt, da die Kanzlerin jene wird, die es schon war, und einer, der immer eine Spur zu laut sprach, nun Außenminister werden soll, ein Beruf, bei dem es doch auf Takt und Ton nur so ankommt. Steffi hört meine Frage und sagt, nein, sie befürchte die soziale Kälte schon, aber die Kanzlerin habe ja im Sozialen alles im Blick. Auf die Union könne man sich doch verlassen. Ein Satz, so ungeheuerlich, wie ein Satz es nur sein kann. Und der Magnus rührt in seiner Bionade und nickt desinteressiert.
So weit ist es also mit dem Nachwuchs unserer eingeweihten Kreise gekommen. Die Union, die Partei, die keinen Ekel mehr weckt. Mit der zu alliieren sich vorzustellen keine Pein mehr auslöst. Ja, ist denn jetzt alles ohne Tabu? Wie kommt es, dass eine solide Studentin wie die Steffi die CDU wie CSU so nimmt wie Parteien, die das ihre im Sinn haben, aber auf keinen Fall mehr Verstörung, Empörung, Wut, Trauer und Entsetzen provozieren, um nur die einst gängigen Vokabeln der politisch gemeinten Kritik zu nennen?
Jan Feddersen ist taz-Redakteur.
Nein, die Steffi hat keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen eine Partei, die Kohl war und nun Merkel ist. Man kann nicht sagen, dass sie oder ihr Begleiter wie die Spießer der Fünfziger aussehen. Wie Leute, die man mit steifem Sonntagsspaziergang verbindet und mit dauernd gekeuchtem Verbot auf den Lippen, dass der Rasen nicht betreten werde dürfe.
Ich bin, selbstverständlich, dabei, mich zu fürchten. Es ist der gleiche Gemütszustand, der mich erfasst, nachdem ich in Hamburg durch die einschlägigen Szeneviertel ging und von Politik nix mehr spürte, nur noch den Atem von Spaß und Vergnügen. Die CDU - na und! So scheint mir das zu schmecken, dieser Zeitgeistschmus nach jener Wahl, zu der jetzt Sigmar Gabriel sagt, dass seine Partei, die SPD, über diese noch viel nachzudenken haben, ja, bei denen wird sogar gemunkelt, man habe sich auf eine längere regierungsferne Zeit einzustellen als nach der Demission Helmut Schmidts.
Steffi, sag, hast du nicht Mitleid mit der SPD? Sie guckt mich an, will gerade in ihrer Zeitung blättern und schaut eine Spur zu genervt. Ihr Blick soll sagen: Wenn wir uns schon näher als über das Grüßen hinaus sprechen, dann komm mir doch nicht mit langweiligen Fragen. Wörtlich teilt sie dann mit: "Das sind doch Verlierer." Und solche, die verlieren, die ihr Ding verpatzt haben, die ihre Zukunft hinter sich zu haben scheinen, die kann sie, die übermorgen ein Windkraftpraktikum in Schleswig-Holstein antreten wird, in ihrem jungen Leben nicht brauchen. Sie, die das Allermeiste doch noch vor sich zu haben scheint, mag Aufsteiger, die Ruhigen, die Sicheren, nicht die Zerstörten.
Wir verabschieden uns mit leichtem Nicken. Wir grüßen uns bestimmt weiter.
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