Kolumne Parallelgesellschaft: Klassenstatusgier der Lifestylelinken
Früher waren wir einer Meinung: bei AKWs, bei der Volkszählung und bei der Bio-Ernährung. Jetzt ist alles so kompliziert geworden.
F rostig vielleicht nicht, aber mit einem Firnis freundschaftserschütternder Irritation endete neulich ein Gespräch mit einer Freundin aus dem Saarländischen. Ich kenne Maja, 54, seit langem. Aus der Anti-AKW-Bewegung; gemeinsam säuberten wir uns in Grohnde einst Tränengas aus den Augen, das man uns verpasste, als wir partout nicht davon lassen wollten, ganz nah an den Bauzaun zu gelangen. Wir sprachen über vieles, über Grünes und dass das mit "der Schule" nun wirklich nicht ginge. Die schöne Freundin mit dem Hennaschopf beteuerte, dass sie ganz bestimmt nichts gegen bessere Schulen habe, vor allem nichts gegen solche, die den Kindern der Unterschichten nützen könnten.
Doch ihre Charlotte und ihren Hendrik werde sie auf keinen Fall in eine Gemeinschaftsschule schicken. Sie war erregt. Nein, sie habe da aus Hamburg von Geschichten gehört, dass man Latein nicht mehr lernen könne auf diesen Schulen, und natürlich lege sie auch keinen Wert auf das Wort Gymnasium, aber in Hamburg werde die Gemeinschaftsschule zu schnell und zu provisorisch von den Grün-Schwarzen durchgesetzt. Meine Erwiderung, dass alle Expertisen auswiesen, Kinder aus verschiedenen Lebenslagen lernten gemeinsam am besten, ließ sie schon deshalb nicht gelten, weil sie dem Argument nicht zuhörte, sondern beteuerte, sie ließe ein Schulexperiment nicht an ihren Kindern ausprobieren. An einzelnen Schulen könne geprobt werden, aber nicht überall, also vor allem nicht da, wo sie die Innovation betreffen könnte.
Ich war doch erstaunt. Die Gute, Tapfere und Aufrechte, die vor 30 Jahren gegen die Klassenschule war, Rudolf Bahro wie eine Offenbarung las und bei Robin Wood gegen das Waldsterben ankämpfte … sollte die sich als dünkelhafte Gymnasialklassenkämpferin entpuppen?
Jan Feddersen ist Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz
Sie sollte. Maja fuhr fort, unbeirrt. Wo komme man da hin, wenn man nun, ein Räuspern entwich ihrem Hals, auf Elternabenden auf Leute treffe, mit denen man nur schwer Kontakt bekomme - die seien doch an Bildung uninteressiert.
Dann seufzte Maja, nachdem ich immer wieder stoisch anfügte, ihrer Meinung nicht zu sein - dass sie recht eigentlich nur dann eine andere Politik im Lande wolle, wenn es mit dem eigenen Leben nichts zu schaffen habe, vor allem, wenn es der eigenen Klassenstatusgier nicht gefährlich wird. Und, ich konnte nicht an mich halten, dass für sie eine bessere Schulwelt nur eine sei, bei der man mit den Schmuddelkindern nicht in einen Topf gepackt wird. Kurzum: dass sie eine Lifestylelinke immer war, eine Umweltaktivistin.
Wir wollten Frieden wahren. Ich wollte ihr nicht ätzend vorhalten, dass sie aller Abstrampelei zum Trotz niemals ganz zu den Großbürgern zählen werde. Sie sagte dann: Früher war es doch schöner, da waren wir einer Meinung. Bei AKWs, bei der Volkszählung, bei Bioernährung und bei der Abwehr von Nazis. Jetzt aber sei es so kompliziert geworden, so schwierig. Aber das könne ich ja nicht verstehen, denn sie habe ja Kinder, nicht ich. Ich erwiderte, frohe Weihnachtstage wünschend, dass es vielleicht früher so simpel war, weil es in Wahrheit um nichts ging, um gar nichts.
Jetzt aber, da es um bessere Schulen sich dreht, um echte Reformen, kneift die alternative Szene. Man lebte einst gern unter den Segeln dissidenter Lüfte, aber doch nicht für immer und auf allen Meeren. Wir schworen, uns thematisch weiter zu vertiefen. Ich dachte nur, wahrscheinlich viel zu selbstgefällig: Was kann sie schon für ihren verzweifelten Dünkel? Kann ich monieren, dass er ihr tiefer in der Haut eingeritzt scheint als jedes andere Gefühl? Frohe Ferien!
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