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Kolumne ParallelgesellschaftKlassenstatusgier der Lifestylelinken

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Früher waren wir einer Meinung: bei AKWs, bei der Volkszählung und bei der Bio-Ernährung. Jetzt ist alles so kompliziert geworden.

F rostig vielleicht nicht, aber mit einem Firnis freundschaftserschütternder Irritation endete neulich ein Gespräch mit einer Freundin aus dem Saarländischen. Ich kenne Maja, 54, seit langem. Aus der Anti-AKW-Bewegung; gemeinsam säuberten wir uns in Grohnde einst Tränengas aus den Augen, das man uns verpasste, als wir partout nicht davon lassen wollten, ganz nah an den Bauzaun zu gelangen. Wir sprachen über vieles, über Grünes und dass das mit "der Schule" nun wirklich nicht ginge. Die schöne Freundin mit dem Hennaschopf beteuerte, dass sie ganz bestimmt nichts gegen bessere Schulen habe, vor allem nichts gegen solche, die den Kindern der Unterschichten nützen könnten.

Doch ihre Charlotte und ihren Hendrik werde sie auf keinen Fall in eine Gemeinschaftsschule schicken. Sie war erregt. Nein, sie habe da aus Hamburg von Geschichten gehört, dass man Latein nicht mehr lernen könne auf diesen Schulen, und natürlich lege sie auch keinen Wert auf das Wort Gymnasium, aber in Hamburg werde die Gemeinschaftsschule zu schnell und zu provisorisch von den Grün-Schwarzen durchgesetzt. Meine Erwiderung, dass alle Expertisen auswiesen, Kinder aus verschiedenen Lebenslagen lernten gemeinsam am besten, ließ sie schon deshalb nicht gelten, weil sie dem Argument nicht zuhörte, sondern beteuerte, sie ließe ein Schulexperiment nicht an ihren Kindern ausprobieren. An einzelnen Schulen könne geprobt werden, aber nicht überall, also vor allem nicht da, wo sie die Innovation betreffen könnte.

Ich war doch erstaunt. Die Gute, Tapfere und Aufrechte, die vor 30 Jahren gegen die Klassenschule war, Rudolf Bahro wie eine Offenbarung las und bei Robin Wood gegen das Waldsterben ankämpfte … sollte die sich als dünkelhafte Gymnasialklassenkämpferin entpuppen?

Bild: taz

Jan Feddersen ist Redakteur für besondere Aufgaben bei der taz

Sie sollte. Maja fuhr fort, unbeirrt. Wo komme man da hin, wenn man nun, ein Räuspern entwich ihrem Hals, auf Elternabenden auf Leute treffe, mit denen man nur schwer Kontakt bekomme - die seien doch an Bildung uninteressiert.

Dann seufzte Maja, nachdem ich immer wieder stoisch anfügte, ihrer Meinung nicht zu sein - dass sie recht eigentlich nur dann eine andere Politik im Lande wolle, wenn es mit dem eigenen Leben nichts zu schaffen habe, vor allem, wenn es der eigenen Klassenstatusgier nicht gefährlich wird. Und, ich konnte nicht an mich halten, dass für sie eine bessere Schulwelt nur eine sei, bei der man mit den Schmuddelkindern nicht in einen Topf gepackt wird. Kurzum: dass sie eine Lifestylelinke immer war, eine Umweltaktivistin.

Wir wollten Frieden wahren. Ich wollte ihr nicht ätzend vorhalten, dass sie aller Abstrampelei zum Trotz niemals ganz zu den Großbürgern zählen werde. Sie sagte dann: Früher war es doch schöner, da waren wir einer Meinung. Bei AKWs, bei der Volkszählung, bei Bioernährung und bei der Abwehr von Nazis. Jetzt aber sei es so kompliziert geworden, so schwierig. Aber das könne ich ja nicht verstehen, denn sie habe ja Kinder, nicht ich. Ich erwiderte, frohe Weihnachtstage wünschend, dass es vielleicht früher so simpel war, weil es in Wahrheit um nichts ging, um gar nichts.

Jetzt aber, da es um bessere Schulen sich dreht, um echte Reformen, kneift die alternative Szene. Man lebte einst gern unter den Segeln dissidenter Lüfte, aber doch nicht für immer und auf allen Meeren. Wir schworen, uns thematisch weiter zu vertiefen. Ich dachte nur, wahrscheinlich viel zu selbstgefällig: Was kann sie schon für ihren verzweifelten Dünkel? Kann ich monieren, dass er ihr tiefer in der Haut eingeritzt scheint als jedes andere Gefühl? Frohe Ferien!

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

9 Kommentare

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  • C
    conrad

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    Ein sehr zutreffender Artikel, der anschaulich macht, wie eine auf mehr Bildungsgerechtigkeit orientierte Schulreform durch die Interessen bürgerlicher Kreise am (vermeintlichen) Aufstieg ihrer Kinder bzw. am Erhalt ihrer Privilegien scheitert. Kommentar zum Kommentar von Schlegel: Die Beschulung der eigenen Kinder in der Gesamtschule ist kein "sozialromantischer Versuchsballon", der "Wohl und Zukunft der Kinder gefährdet". Meine drei Kinder haben viel gelernt und sind sozial kompetent geworden dank des Engagements ihrer GesamtschullehrerInnen.

    Kompliment auch an Herrn Feddersen, den Stilisten!

  • WC
    Wei Che

    Für diese Headline müssen einige Synapsen heiß-

    gelaufen sein -

    der wahre, echte Klassenkampf kam natürlich immer von unten - ein Schmuddelkinderspiel sozusagen -

    mit Lokomotive und Heizer und Reisenden und Fahrschein und Fahrplan -

    undsoweiter.

    Mal Marx (Karl, vielleicht auch die brothers)

    lesen können - schadet nichts.

  • S
    Schwarzkopf

    Sehr gut!!! Endlich mal einer, der den Pseudolinken ihre verlogene Maske abzieht. Ich finde es bemerkenswert, wie die so genannte linke Szene eben nicht den Weg der Universagleichheit zuende geht. Es bleibt dabei, gehts um den eigenen Mikrokosmos wird jeder zum Egoisten. Es ist nicht mit dem Marsch gegen Nazis auf den Demos getan, wenn man sein eigenes Gedankengut nicht vollends dazu distanzieren kann und dass im tatsächlichen Alltag. Ich persönlich habe es satt immer wieder diese relativierenden Linken zu treffen, die mit ihren Spontisprüchen nicht an sich halten können, um dann bei Alnatura nach dem blonden Marktarbeiter zu suchen. Es wird nicht, es ist Zeit sich zusammen zu setzen. Unsere Gesellschaft bewegt sich schleichend in Richtung Ausgrenzung derer, die nicht zum Mainstream gehören. Heißen sie Manuel, Stephanie, Kevin, Chantalle, Mehmet oder Muhammed.

  • S
    Schwarzkopf

    Sehr gut!!! Endlich mal einer, der den Pseudolinken ihre verlogene Maske abzieht. Ich finde es bemerkenswert, wie die so genannte linke Szene eben nicht den Weg der Universagleichheit zuende geht. Es bleibt dabei, gehts um den eigenen Mikrokosmos wird jeder zum Egoisten. Es ist nicht mit dem Marsch gegen Nazis auf den Demos getan, wenn man sein eigenes Gedankengut nicht vollends dazu distanzieren kann und dass im tatsächlichen Alltag. Ich persönlich habe es satt immer wieder diese relativierenden Linken zu treffen, die mit ihren Spontisprüchen nicht an sich halten können, um dann bei Alnatura nach dem blonden Marktarbeiter zu suchen. Es wird nicht, es ist Zeit sich zusammen zu setzen. Unsere Gesellschaft bewegt sich schleichend in Richtung Ausgrenzung derer, die nicht zum Mainstream gehören. Heißen sie Manuel, Stephanie, Kevin, Chantalle, Mehmet oder Muhammed.

  • U
    upupintothebluesky

    Gibt es denn kein kuscheligeres Wort für "segration"?

  • BM
    Bernd Mensching

    Der Artikel erinnert mich an einen Ausspruch von Gustav Heinemann: "Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau." Mit Blick auf meine Frau kann ich das nur bestätigen und mit Blick auf meine Kinder würde ich übertragen sagen: "Ich liebe nicht die Gesellschaft, sondern meine Kinder." Erst wenn ich das Gefühl habe meinen Kindern ein bestmögliches Umfeld gestaltet zu haben, erst dann bin ich bereit auch über das Umfeld anderer nachzudenken und hier mitzugestalten. Und das Menschen mit Kindern und Menschen ohne Kinder ein unterschiedliche Wahrnehmung von Notwendigkeiten haben, dass ist doch spätestens jedem Vierzigjährigen bekannt, oder?!

  • N
    noname

    der autor hat absolut recht. die selbstgerechten bioladen einkäufer leben in ihrer super biederen spießer öko bourgoisen traumwelt. ihnen gehts doch am ende auch nur darum möglichst viel zu konsumieren, nur dass man versucht das dann mit öko-siegeln reinzuwaschen. und na klar, sie sind auch alle multikulti, nur wenns dann um die eigenen kinder geht, da hört die vermeintliche toleranz dann sehr schnell auf.

    ergo: die gleichen spießer wie eh und jeh, die mit dem rest der gesellschaft nix zu tun haben wollen.

    gymnasien, privatschulen und dergleichen sollte es garnicht mehr geben. bildung für ALLE und zwar UMSONST

  • H
    Hamlet

    Endlich mal ein guter und zutreffender Aufsatz

    von Herrn Feddersen.

  • S
    schlegel

    Herr Feddersen, das Verhalten Ihrer Freundin sollten Sie erst kritisieren, wenn Sie selbst das Wohl und die Zukunft Ihrer Kinder für sozialromantische Versuchsballons zur Verfügung gestellt haben. Wohlfeile Ratschläge von Personen, die nicht betroffen sind, haben wir genug. Ihre Freundin gehörte auch mal dazu.

     

    Bis dahin können Sie höchstens ihre Scheinheiligkeit kritisieren, von anderen Dinge zu verlangen, die man selbst nicht tun möchte. Obwohl sie sich damit in bester Gesellschaft befindet, denn die wenigsten dieser bildungspolitischen Weltverbesserer sind bereit ihren Phrasen auch Taten folgen zu lassen.