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Kolumne OverseasVom Suchen und Finden der Immobilie

US-Amerikaner und Einsiedlerkrebse haben viel gemeinsam: Sie wollen immer gigantischere Wohnmöglichkeiten

Bild: taz

Adrienne Woltersorf ist USA-Korrespondentin der taz mit Sitz in Washington.

Genau wie die kleinen Wattkrebse aus der Nord- oder Ostsee suchen sich Amerikaner im Laufe ihres Lebens immer größere Häuser. Jedes Mal, wenn der Krebs ein Stück gewachsen ist, muss er sich ein schöneres und geräumigeres Schneckenhaus suchen. Das ist eine der heikelsten Angelegenheiten, denn beim Umzug ist der unbehauste Krebs am verletzlichsten. So schaut er sich sorgsam nach einer neuen Immobilie um, bevor er das alte Gehäuse verlässt.

Am Wochenende traf ich einen der vielen Washingtoner Denkfabrikexperten in einer der hotellobbyartigen Shoppingmalls. Wir machten ein bisschen Smalltalk, da Menschen wie er nie Zeit für ein richtiges Gespräch haben, wenn es nicht ein Interview ist, das später auch gedruckt wird. Der Mann erzählte einfach so von sich und seiner Familie. Er lachte und erzählte weiter, wie er damals, unter der Clinton-Administration einfach zu Madeleine Albright ins Büro hineinspazieren und sagen konnte: Mrs Secretary, ich denke, wir sollten den Leuten auf dem Balkan das und das sagen. Ja, so war das.

Während ich mich wunderte, dass er so ruhig da herumsitzen kann, wo doch sein Land gerade wie verrückt Delegiertenstimmen für einen neuen Präsidenten zählt, kommt auch noch seine Frau dazu, die sonst ebenfalls in einer Denkfabrik denkt. Auch sie erzählt. Allerdings bald von den besonderen Umständen, in denen sich die Familie gerade befindet: Sie ziehen nämlich um, erfahre ich. Das heißt in Amerika natürlich nicht Mietvertrag kündigen, sondern Haus verkaufen. Das neue Gehäuse, ein größeres natürlich, noch weiter draußen in Suburbia, ist schon ausgesucht. Bei der gegenwärtigen Immobilienkrise, erfahre ich, will allerdings niemand mehr einem Kaufvertrag glauben, der nicht den notariellen Verkauf des alten Hauses einschließt. Zu viele sind in den letzten Monaten wie die Einsiedlerkrebse während ihres Umzuges kalt erwischt worden. Nicht so sehr von dem Hai als vielmehr von den implodierenden Hauspreisen. Wer also was Neues will, muss erst beweisen, dass er sein altes Haus tatsächlich verkauft hat und wieder kreditwürdig ist.

Das Besondere des Hauswechsels à la USA ist allerdings, dass der unumgehbare Immobilienmakler dabei die Regie führt. Und mindestens die Autorität eines Oberarztes besitzt. In der mittleren Phase, die "staging", also das Inszenieren genannt wird, haben die Verkaufswilligen das Haus gefälligst zu verlassen, damit potenzielle Käufer nicht abgeschreckt werden durch ein unbedachtes Wort oder das Eau de Cologne des Hausherrn.

In dieser recht unbehausten Phase also lebte an diesem Wochenende das Denkfabrikpaar: Schon ein neues Schneckenhaus in Aussicht, aber schutzlos in der Shoppingmall herumlungernd. Ihr Immobilienmakler hatte derweil zum Begehungstermin an diesem Wochenende das Althaus in ein lichtdurchflutetes Paradies verwandelt, Blumen und Duftkerzen aufgestellt. Alle Mülleimer und Zahnbürsten hatten seit den frühen Morgenstunden beseitigt zu sein. Im Kleiderschrank sollten genau zwei dekorative Mäntel hängen - nicht mehr und nicht weniger, jammert das Denkfabrikpaar kleinlaut. "Staging", davon versteht die amerikanische Kultur halt was. Die Mülleimer warten so lange im Kofferraum.

Vergangene Woche hatte der Oberarztimmobilienmakler der Familie einen begehbaren Anhänger vorbeigeschickt. Darin hineinzustopfen sei alles aus ihrem Leben, was sich nicht zu Dekorationszwecken eignet, lautete die strikte Anweisung. Der Anhänger war längst irgendwohin verschwunden, jedenfalls weg aus der hübschen Blickachse auf den Vorgarten. Und mit ihm war zu meiner großen Überraschung auch die hysterische Geschäftigkeit verschwunden, die zwei Thinktank-Strategen in Washington sonst so rund um die Uhr an den Tag legen. Wir tranken noch einen zweiten Kaffee. Ich erfuhr, dass beide seit einigen Tagen nicht mehr, wie ich bis dahin geglaubt hatte, im Clinton-Lager aktiv waren - sondern wie alle anderen auch ins Obama-Lager desertiert waren.

So ist auch das Leben der Einsiedlerkrebse. Ohne das gewohnte Schneckenhaus passieren manchmal merkwürdige Dinge.

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