Kolumne Overseas: Grenzenlose Brot-Individualität
Wer sich in einem US-Imbiss ein Sandwich bestellt, braucht starke Nerven und ganz viel Zeit
ADRIENNE WOLTERSDORF ist USA-Korrespondentin der taz.
Wer zweifelt, dass die Freiheit in den Vereinigten Staaten wohnt, der soll sich dort mal ein Sandwich bestellen. Während man in Deutschland in einen Laden geht und die Wahl hat zwischen Schinken- oder Käsebrötchen, bietet sich in Gottes großartigsten Imbissketten die sättigende Wucht der Mitbestimmung. Ich wähle gerne. Aber wenn sich der Hunger meldet, will ich wirklich nur ein Käsesandwich. Oder eines mit Schinken.
Wollen Sie die Preiskategorie Single, Freitagabend nach einem Baseballspiel oder Vielfraß mit Übergewicht, wird man sinngemäß zunächst gefragt. Oha, da muss man bereits auf der Hut sein. Neulich hatte ich in Nebraska vergessen, dass sich die Portionsgrößen im Verhältnis zur Westwärtsausdehnung des Landes steigern. Die mehr als rundliche Sandwichmacherin setzte sich keinesfalls in Bewegung, nachdem ich einfach nur das mittelgroße Butterbrot-Angebot geordert hatte. Welches Brot wollen Sie? Roggen, Weizen, Wunder-Brot oder koscheres Brot, mit Vitamin D angereichert? Die Auswahl habe ich, wie fast immer, akustisch gar nicht wirklich verstanden, denn Sandwichzubereiter sind hier von Natur aus übellaunig und artikulieren schlecht. Um mir keine Blöße zu geben, antworte ich seit langem - ohne jemals den Mut aufzubringen, etwas Neues wie Wunderbrot auszuprobieren, stets "Roggenbrot".
Zu Anfang meines USA-Aufenthaltes hatte mir jemand versichert, dass sei weniger "genetisch verbessert", wie es hier so technikbejahend wie entschlossen heißt. Als ich noch "Käse" sage und mich geschäftig von der Bestelltheke abwenden will, um an meinen Tisch zu gehen, ruft die Domina hinter dem Zutatenbüfett. "Hi, Maam. Soll es Provolone, Schweizer Käse, Monterey Cheddar, American oder Blue Cheese sein? Wir haben auch Hüttenkäse." Ich schaue ratlos auf die Auslagen und sehe eigentlich nur verschiedenfarbige Käsescheibletten und wähle die Sorte, deren Gelb mir am wenigsten angsterregend erscheint. Natürlich denke ich mal wieder, die Bestellung damit erledigt zu haben. Weit gefehlt. Ich habe es immer noch nicht verinnerlicht: Meiner Individualität werden hier einfach keine Grenzen gesetzt. Ich darf alles entscheiden. Keine fertigen Lösungen. Der Amerikaner, dessen Blick nur am Horizont endet, hat ein Recht auf eine sagenhaft persönlich zusammengestellte Stulle.
"Maam, wünschen Sie Mayonnaise, Senf, Ketchup" oder etwas, das ich wieder nicht verstehen kann? Ich tippe zaghaft auf Ketchup, in der Annahme, da könne man selbst in Nebraska keine bösen Überraschungen mit erleben. Ich wage es jetzt nicht, zur Kasse zu entschwinden, denn das Interview geht mit monotoner Befragung weiter. "Wollen Sie Eisbergsalat, Peperoni, Tomatenscheiben, weiße oder rote Zwiebelringe oder Paprika? Oder einfach unsere Standard-Gemüse-Variante?" Da ich finde, dass sich Gemüse immer erst mal ganz gut anhört, frage ich umgekehrt auch ich mal etwas. Was ist die Standard-Gemüse-Variante? "Eisbergsalat, Peperoni, Tomatenscheiben, weiße und rote Zwiebelringe und Paprika." Ach ja. "Wie wollen sie ihr Steak? Rare, medium?" Steak? Ich will nur ein Käsesandwich, sage ich kleinlaut. "Sandwiches kommen hier alle mit Steak, Maam", sagt die Brotbelegerin vorwurfsvoll. Ich sehe ein, dass man in Nebraska nicht um ein Steak herumkommt. Okay, Hauptsache, ich kriege endlich was zu essen. "Wollen sie Ihr Sandwich gegrillt, überbacken oder kalt?" Ich will mein Sandwich, her damit!, möchte ich die Anbieterin viel zu vieler Möglichkeiten anraunzen. "Soll es zum Hier-Essen oder zum Mitnehmen sein?" Ich will nur essen, winsele ich. "Wollen Sie mit Bargeld, Kredit- oder Debitkarte zahlen?"
Schon strecke ich die Hand aus, um nach meinem Imbiss zu grapschen. Doch die Früchte der Demokratie sind nicht so easy zu ernten. "Haben Sie eine Clubmitgliedschaft bei uns oder wollen Sie auf unseren E-Mail-Verteiler, der Sie über unsere köstlichen Angebote regelmäßig informiert?" Ich will mein Brot, schluchze ich fast. Vor mir auf dem Tablett liegt schließlich ein Haufen, aus dem langsam das Ketchup läuft und der niemals erraten lässt, wie viele schwierige Entscheidungen dahinterstecken.
Eine zu große Auswahl? kolumne@taz.de Montag: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE
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