Kolumne Ohnmacht: Ein Meteorit namens Menschheit
Das Wespennest im heimischen Schrebergarten erinnert an eine unbequeme Wahrheit: Kein Schwein kümmert sich um den weltweiten Artenschutz.
D er Fortschritt ist eine Schnecke. Das wissen wir, seit wir Schrebergärtner sind. Das heißt Idylle mit Grillen und Chillen, Laubsäcke schleppen, ungenießbare Gurken vor Schnecken retten, Hunderte von Äpfeln verwerten und sich über alles freuen, was so kreucht und fleucht. Nun ja. Da war ja noch das Wespennest.
Als wir das fußballgroße Ding im Sommer entdeckten, war es schon von kämpferischen Schwarz-Gelben umschwärmt wie der Strafraum von Borussia Dortmund. Vorsichtig machten wir die Tür zum Klohaus wieder zu und deckten die Kuchen ab. Ich trank das Bier aus der Flasche nur noch mit zusammengebissenen Zähnen, nachdem ich bei einem kräftigen Schluck plötzlich eine Wespe im Mund gehabt hatte. „Einfach nicht mehr dran denken“, sagte meine Frau, und wie immer hatte sie recht.
Genau so halten wir es kollektiv auch mit dem Thema, das unseren Garten mit der weiten Welt verbindet: der globalen Artenvielfalt. Gerade ist nach zwei Wochen im mexikanischen Cancún die 13. UN-Konferenz zur Biodiversität zu Ende gegangen. Interessiert hat das außer den üblichen Verdächtigen niemanden. Dabei ist das Thema wirklich wichtig. Wir rotten durch unsere Land- und sonstige Wirtschaft Tiere und Pflanzen in einem Tempo aus, als hätte ein Meteorit die Erde getroffen: In den letzten 40 Jahren ist die Hälfte aller wilden Tiere verschwunden, sagt der WWF.
Und in Cancún ging es ans Eingemachte: Wie schützen wir die Arten auch in der Landwirtschaft, beim Bau von Straßen oder im Tourismus? Dürfen wir gentechnisch veränderte Spezies in die Natur einführen, um für uns schädliche Arten auszurotten? (Ich dachte sofort an meine Wespen, aber es ging eher um Insekten, die Malaria übertragen). Sollten wir mit „Climate Engineering“ an Wald und Atmosphäre herumdoktern, um die globale Erwärmung zu stoppen?
Mit 88 wollte Mama nicht mehr leben – sie hörte auf zu essen und zu trinken. Nach 13 Tagen erlag sie einem Nierenversagen. Ist Sterbefasten Suizid? Das Gespräch mit der Buchautorin Christiane zur Nieden lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Dezember. Außerdem: Wieso es unmöglich ist, die Erde perfekt auf einem Blatt Papier abzubilden. Und: Warum 2016 besser war als sein Ruf. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Dass sich kein Schwein um diese Fragen kümmert, ist seltsam. Denn anders als Klimaschutz ist Artenschutz eigentlich mit Händen zu greifen. Treibhausgase kann man nicht streicheln, aber die traurigen Augen des Riesenpandas bringen Spendengelder. Jeder versteht, dass es nicht gut sein kann, Regenwald auf der Fläche von Westeuropa abzufackeln. Aber eine andere Landwirtschaft oder ein paar weniger Straßen will trotzdem niemand.
Die Artenschützer argumentieren deshalb jetzt mit dem Geldbeutel. Nicht nur vernichtet der Artentod möglicherweise die Rohstoffe und die Medizin von morgen. Sondern wenn Vögel, Bienen oder Fledermäuse den Abflug machen, müssen wir unsere Obstbäume und Tomatenfelder in Zukunft selbst bestäuben. Was bis zu 500 Milliarden Euro kostet. Die kostenlose Arbeit der geflügelten Spezialisten ist billiger und besser.
Das aber vergleicht Äpfel mit Birnen. Denn es geht hier gar nicht um eine rationale Entscheidung. Einerseits sind wir Menschen ja ziemlich doof. Wir jammern erst über die Schönheit des Paradieses, wenn wir aus ihm vertrieben werden. Und andererseits denken wir immer noch, wir müssten die Natur beherrschen, statt sie einfach mal in Ruhe zu lassen. Wenn Ihr Chef Ihnen morgen stolz sagt: „Ich hab mir einen Jaguar gekauft!“, dann denken Sie an einen Achtzylinder und nicht an eine gefleckte Raubkatze.
In unserem Schrebergarten jedenfalls wollen wir die friedliche Koexistenz mit der Natur mal versuchen. Auch Wespen haben ein Existenzrecht, finde ich. Solange sie mein Bier in Ruhe lassen.
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