Kolumne Ökosex: Strom sparen mit einem Tempolimit
Eine Diktatur der Freiwilligen? Die lässt sich durchaus erzwingen.
N ehmen wir mal an, Claudia Roth hätte mich angerufen und gefragt, ob 2022 okay sei. "Frau Roth, elf Jahre Atomkraftwerke sind im Leben eines Mittvierzigers eine lange Zeit. Da kann alles Mögliche passieren. Haarausfall, Watnknall, Vattenfall!", hätte ich freundlich geflötet. Mit diesem Brüller hätten wir erst mal eine entspannte Gesprächsgrundlage geschaffen. Dann hätte ich erst recht losgebrüllt: "Zwanzig zweiundzwanzig? Sind Sie wahnsinnig? Nur über meine tote Leiche!" Immerhin sei 2022 der Dolchstoß ins Herz der AKW-Bewegung und der Schlag ins Gesicht der Millionen, die in den letzten Monaten demonstriert hätten. Und obendrauf sei 2022 der Schuss ins eigene Knie der Grünen.
Claudia würde das gefallen, das ernste Problem aber nicht entgehen: Wenn sich Ökosex gegen die Grünen wendet, dann ist der grüne Kanzlertraum ausgeträumt. Also würde sie mich um einen Kompromissvorschlag bitten. Warum nicht? Das Leben ist ein einziger Kompromiss. Zum Beispiel werde ich in fünf Jahren 50. Warum das letzte Atomkraftwerk nicht an meinem fünfzigsten Geburtstag abschalten im Jahre 2016? Das gäbe eine Party mit allem Pipapo. Und ehrlich gesagt wäre die Anerkennung auch nicht unverdient. Immerhin hat meine kleine Kolumne hier erheblich zum heiteren Anti-AKW-Klima beigetragen, vielleicht sogar die entscheidenden Impulse gegeben. Ich erinnere daran, dass Herr Winkler, der hier auch eine Kolumne schreibt, nach all den Jahren sogar seinen Stromvertrag bei einem Atomkonzern gekündigt hat! Wenn das kein Erfolg ist.
Aber Spaß beiseite. Ich habe Verbündete: Das Umweltbundesamt kann sich einen Ausstieg rund um meinen Fünfzigsten vorstellen (2017). Olav Hohmeyer vom Sachverständigenrat für Umweltfragen hält sogar die Party an meinem 49. im Jahr 2015 für möglich. Für mich ein schöner Kompromiss, denn wie jeder weiß, bin ich zusammen mit Hubert Weiger vom BUND für den Ausstieg im Jahre 2013.
Martin Unfried ist Autor der taz.
Den Grünen würde ich empfehlen, anstatt im Bundestag gute Miene zu machen, ein spektakuläres Stromsparabkommmen vorzuschlagen: eine freiwillige Verpflichtung aller Privathaushalte, im Winter 2011/12 erheblich Strom zu sparen. Und zwar 20 Prozent, also den Atomstrom-Anteil.
Wie das gehen soll? Na ja, ganz einfach. Ich verbrate im 4-Personen-Haushalt unter 2.000 kWh Strom pro Jahr. Der durschnittliche Haushalt aber das Doppelte. Ergo muss da noch einiges drin sein, und denken Sie an das ganze Geld, dass die Deutschen sparen könnten. Erschließen können wir das mit Zuckerbrot und Peitsche. Was macht die Bevölkerung denn so am liebsten? Na klar: mit 200 über die Autobahn brettern. Also verknüpfen wir Stromsparen und Tempolimit. Wer in seinem Haushalt das individuelle Ziel 20 Prozent Einsparung nicht erreicht, für den gilt ab 2012 ein Tempolimit auf der Autobahn von 105 km/h.
Was glauben Sie, wie schnell wir Stromsparweltmeister werden, wenn auch Dienstwagen unter die Regelung fallen. Und mit Ökodiktatur hat das nicht das Mindeste zu tun. Das ist ein echtes Gemeinschaftswerk und so was von freiwillig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch