Kolumne Nullen und Einsen: Play like it’s 1987
Mit „Thimbleweed Park“ erscheint Ende März ein neues Computerspiel, das aussieht, als wäre es 30 Jahre alt. Das hat nicht nur mit Nostalgie zu tun.
E s beginnt mit einer Wasserleiche. Ein FBI-Ermittlerpaar, das durchaus an Fox Mulder und Dana Scully aus „Akte X“ erinnert, kommt in die US-Kleinstadt Thimbleweed Park und untersucht den Fall. Die Ereignisse werden immer bizarrer, die Stadt verbirgt viele düstere Geheimnisse, unter anderem spielen ein verwunschener Clown, ein Klempnerduo in einem Taubenkostüm und eine Kissenfabrik eine Rolle.
„Thimbleweed Park“, das, wie Montag bekannt wurde, am 30. März erscheint, ist das neue Computerspiel von Ron Gilbert. Gilbert hatte um das Jahr 1990 herum „Maniac Mansion“ und „Monkey Island“ erfunden und wer in den 70er- oder frühen 80er-Jahren geboren wurde und sich überhaupt auch nur ein wenig für Computerspiele begeistern kann, kennt diese Titel. Sie sind Meilensteine, genredefinierend und unendlich oft zitiert.
Für „Thimbleweed Park“ hatte Ron Gilbert Ende 2014 auf Kickstarter binnen einem Monat über 500.000 Dollar gesammelt. Bei einer Vorabpremiere in Berlin im Februar waren weit über 100 Leute da, viele hatten ihre alten „Monkey Island“-Spielpackungen und Kopierschutz-Scheiben für Autogramme mitgebracht. Man konnte das Spiel dort ein wenig testen, es machte einen fantastischen Eindruck.
Mit seiner markanten 8-Pixel-Optik und den berühmten Anklickverben sieht „Thimbleweed Park“ beinahe so aus wie ein Spiel aus dem Jahr 1987, was zufällig auch das Jahr ist, in dem es spielt. Womit es perfekt in eine Zeit passt, wo auf Netflix die 80er-Mysteryserie „Stranger Things“ gefeiert wird, wo die „X-Files“ zurück sind und die neue Staffel von „Twin Peaks“ sehnsüchtig erwartet wird.
Natürlich ist all das in einer nostalgischen Sehnsucht der über 30-Jährigen nach der eigenen Jugend geschuldet. Natürlich feiern alle Veteranen, dass „Thimbleweed Park“ genau wie Ron Gilberts alte Spiele wieder von Boris Schneider-Johne, einer Art Harry Rowohlt der Computerspielwelt, übersetzt wird.
Aber es ist auch ein wenig mehr als das.
Hier ein kleiner Einsteigerexkurs: Bei allen genannten Titeln handelt es sich um Point-and-Click-Adventures, das sind Computerspiele, bei denen man durch eine Welt läuft und Rätsel löst. Gesteuert wird mit der Maus, man kann Gegenstände anklicken oder eine Reihe von Verben, um Aktionen mit den Gegenständen auszulösen. Sie waren die logische Weiterentwicklung der Textadventures, bei denen es noch keine Grafik gab, sondern nur ein Eingabefeld für Befehle. Wo man war und wie es aussah, wurde einem schriftlich erklärt.
Point-and-Click-Adventures waren um das Jahr 1990 herum state of the art, und dabei wurde erst ihre Grafik immer bunter und hochaufgelöster, dann verschwanden die Anklickverben und schließlich das ganze Spielgenre, weil 3D-Shooter, Rennspiele oder auch Beat'em'Ups wie “Mortal Kombat“ auf einmal aufregender waren. Das war ungefähr Mitte der 90er-Jahre.
Es ist bei Computerspielen nämlich, sehr vereinfacht gesagt, so: Die ersten Jahrzehnte wurde das Spieldesign – also die Optik genau wie die Spielmechanik – in großen Maße von den rasanten Fortschritten bei den Grafikkarten und Prozessoren bestimmt. Als die Auflösung gut genug war, dass man keine Pixel sehen musste, sollte man auch keine mehr sehen. Als 3D endlich ging, musste es auch 3D sein. Und so weiter.
Inzwischen haben Computerspiele eine weite Reise zurückgelegt und sehen wirklich sehr realistisch aus. Sie sind längst reif für eine Historisierung, für spezialisierte Fangruppen, die „Spiele aus den späten 80ern“ mögen, so wie viele Cineasten „Filme der Nouvelle Vague“ verehren. Und so wie Quentin Tarantino Spaghetti-Western aus vergangenen Jahrzehnten bis zum historisch korrekten Filmmaterial nachmacht, zitieren Programmierer eben alte Spieldesigns, Pixel für Pixel.
Das ist nicht erst seit gestern der Fall. Ende der Nullerjahre erschienen etwa neue Teile der 80er-Jahre-Videospiellegenden “Mega Man“, “Darius“, “Contra“ und “Castlevania“, alle im alten Look. Auch Neuentwicklungen wie “Shovel Knight“, “La-Molana“ oder “Axiom Verge“ sehen aus wie direkt aus den 80ern herübergebeamt. Mit „Thimbleweed Park“ hat die konzise Emulation der Vergangenheit nun ein medienwirksames Zwischenhoch erreicht.
Aber jetzt entschuldigt mich, ich muss zum Warmwerden noch einmal die Schwertmeisterin von Monkey Island besiegen. Und wo ist eigentlich dieses verdammte Kettensägenbenzin, wenn man es mal braucht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!