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Kolumne Nullen und EinsenAls ich einen Balrog erschuf

Michael Brake
Kolumne
von Michael Brake

Von Likehuren, Hitlerkatzen, Kaffeetrends und dem Mario-Barth-Humor des Internets. Braucht ihr noch mehr Buzzwords? Jetzt klickt schon, ihr Luder!

Haha. Lustig. Bild: Michael Brake

E s passierte auf einer Radtour durch Köln. Ich startete in Ehrenfeld, kam am berühmten Zentralmoscheeneubau vorbei, nudelte mich dann außenringseitig durch Industrie- und Bahnschienengebiete, bis ich Nippes erreichte. Auf der Neusser Straße war dann dieses Schild. „Coffee to go“ stand darauf und direkt darunter: „Jetzt auch zum Mitnehmen“. Haha. Lustig. Ich machte ein Foto. Und stellte es auf Facebook. Und zwar so, dass alle es sehen, liken und sharen können, nicht nur meine Freunde und Freundesfreunde.

Damit hatte ich einen Balrog geschaffen. Der erste, der das Foto likte, war Sascha Lobo. Der hat bei Facebook über 21.000 Abonnenten, die das mitkriegen konnten. Schnell kletterte der Gefällt-mir-Zähler auf 10, 20, 30. Bäm! Ich war glücklich. Denn, ja: Ich bin eine Likewhore. Jedes Mal, wenn oben links die kleinen weißen Ziffern auf rotem Grund aufpoppen und neue Ereignisse anzeigen, gibt mir das einen Kick.

In der taz-Onlineredaktion nennen wir Kollegen Klickhuren, wenn sie Beiträge absurd hochjazzen (dafür reicht in der Regel ein Tier- oder Nacktbild, oder in der Überschrift was mit Hitler oder Fäkalsprache; 100 Punkte wären das Bild einer Hitlerkatze und „Piraten wollen Aliensex legalisieren“). Likewhore sein ist das Gleiche, nur in einer anderen Währung. Endlich werden all die kleinen Alltagsbeobachtungen veredelt, belohnt und quantifiziert. Wobei man schnell nur noch Pointen online stellt oder was man dafür hält. Man will ja den Schnitt hoch halten.

privat
MICHAEL BRAKE

arbeitet als freier Journalist, unter anderem für taz2medien und taz.de.

Nachmittags ließen die Likes für das Kaffeefoto nach, dafür teilten auf einmal wildfremde Leute mein Foto. Mein Foto! Und ihre Freunde teilten es weiter und weiter. Ich konnte live mitzählen. 44. Reload. 45. Reload. 46. Hach. Als ich am nächsten Morgen bei 150 war, schaute ich mir die Shares mal an und merkte: Das sind fast nur Leute, mit denen ich gar nicht so viel zu tun haben wollen würde, so im echten Leben. Und auch sonst.

Erst da wurde mir klar, mit was ich gepunktet hatte. Bildergoogelt man den Spruch, kriegt man mehrere baugleiche Fotos ausgeworfen, eine Karikatur und sogar ein Buch mit dem Namen: „Kaffee to go – auch zum Mitnehmen!: Die verrücktesten und witzigsten Schilder“. Kaffeetrendwitze sind das, was Helmut-Kohl-Karikaturen in den Achtzigern waren, der Mario-Barth-Humor des Internets. Sichere Lacher, wie Witze über die FDP, Hipster oder Prenzlauer-Berg-Muttis.

Inzwischen sind es 93 Likes und 293 Shares, und insgesamt dürfte ich mehrere tausend Leute erreicht und manche davon sogar amüsiert haben. Und obwohl ich längst die emotionale Bindung zu meinem Foto verloren habe, bin ich doch ein wenig stolz. Ich hatte nicht nur etwas Vorhandenes weiterverbreitet, sondern tatsächlich selbst etwas geschaffen. Ich hatte meinen bescheidenen Beitrag zu der sich täglich weiter reproduzierenden Pointenmaschine Internet geleistet.

Danach konnte ich beruhigt vier 0-Like-Beiträge posten. Einen davon habe ich allerdings nachträglich heimlich wieder gelöscht. Wie sieht denn das sonst aus?

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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10 Kommentare

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  • I
    ion

    Unter dem von Norbert Golluch gepostetem Link:

    [http://www.spiegel.de/fotostrecke/zwiebelfischchen-der-kaffee-ist-fertig-fotostrecke-55923-6.html]

    gibt ’s auch ein Foto (12/14) zur Brake-Kolumne:

     

    «Heiße Milch auf Wunsch auch kalt»

     

    Liebe taz-ler, das ständige thematisieren, name-dropping von ‘faKebook’ (R.I.P.) ist sooo was von: out, out, out!

     

  • P
    Piet

    Herr Brake –

    Sie sollten reisen!

    Lernen Sie E-Schweißen!

    Eine exotische Fremdsprache!

    Kaufen sie sich ein Motorrad!

     

    Oder heiraten Sie, in Gottes Namen!

    Machen Sie e c h t e Erfahrungen!

     

    Sie sind zu jung,

    um als Facebook-Maske

    bei lebendigem Leibe zu frühvergreisen!

  • IB
    ich bins

    Ich finde es klingt als hätte Herr Lehmann aus dem gleichnahmigen Roman von Sven Regener diese Kolummne geschrieben. Man ließt eher selten (mitlerweile) eine Kolummne, die so viel von dem Gedankengang des Schreibers durchscheinen lässt, dass man das Gefühl hat, wenn man zwischen den Zeilen ließt, erkennt man ein Stück des Charakters.

  • E
    Eowyn

    Hmm, und ich habe mich beim Lesen die ganze Zeit gefragt, wann denn nur der feurige Balrog mit Schwert und Peitsche vorkommt. Da ist scheinbar was an mir vorbeigegangen...

  • NG
    Norbert Golluch

    Traurig für Trendsetter: Der biedere SPIEGEL hatte das erste Coffee-to-go-Schild bereits 2010 in der Rubrik "Zwiebelfisch". Link: http://www.spiegel.de/fotostrecke/zwiebelfischchen-der-kaffee-ist-fertig-fotostrecke-55923-6.html

  • H
    Hui

    Ich habe selten einen so nichtssagenden Artikel gelesen.

  • L
    like

    Nach einer Weile als praktizierende 'Likewhore' fing ich an, jede Alltagssituation auf ihre Fotoupload- und Likebarkeit zu ueberpruefen. Da wusste ich, jetzt ist es Zeit den Facebookaccount zu loeschen, sonst Mutation zum schwarmgesteuerten Digitalzombie.

  • H
    hans

    wenn du jetzt noch die klappe hälst wird alles gut

  • C
    coffeeinthemorning

    Like!

  • R
    reblek

    Die korrekte Übersetzung von "Coffee to go": Kaffee zum Weglaufen.