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Kolumne Nullen und EinsenDie Internetausdrucker

Michael Brake
Kolumne
von Michael Brake

Ein Buch, das aus einer ausgedruckten Liste von Internetadressen besteht? Gibt es! Und angeblich ist es sogar die bessere Alternative zu Google. Klar.

Aus der Reihe bescheuerte Aufgaben: Die 6.000 wichtigsten Web-Adressen raussuchen. Bild: privat

E ndlich Herbst. Endlich wieder Laub, Kürbisse, Champions League. Und endlich wird in den Buchläden die neue Auflage des „Web-Adressbuchs für Deutschland“ verkauft, die 16. inzwischen, „Mit den besten GEHEIMTIPPS aus dem Internet“. Das Buch ist eine Emulation der späten Neunziger: Die Titelschrift mit Schatteneffekt, der Umschlaghintergrund mit Farbverlauf und Clipart-Fernglas, im Editorial wird „viel Spaß beim Surfen auf der Datenautobahn“ gewünscht – eigentlich fehlt nur noch eine beigelegte CD-ROM mit 50 Gratisstunden AOL.

Ja, Sie haben das richtig verstanden: Es handelt sich wirklich um eine ausgedruckte Liste von Internetadressen. „Die Redaktion testet, bewertet und vergleicht jedes Jahr aufs Neue alle (!) Web-Seiten“, verspricht der Herausgeber. Alle! Wie viele es wohl gerade gibt? Die „6.000 wichtigsten“ finden sich jedenfalls sortiert in Rubriken, mit Dreizeiler, URL und Register. Das Buch soll die bessere Alternative zu Google sein, denn endlich sparen wir uns „das ewige Herumsurfen und Durcharbeiten der Trefferlisten in Suchmaschinen“. Ohne Suchfunktion. Klar.

Nun ist gegen kuratiertes Internet erst mal nichts einzuwenden, und beim ersten Durchblättern scheinen die meisten Themen sinnvoll abgedeckt, sogar Abgeordetenwatch, Nerdcore und Mundraub sind dabei. Aber, hey: Ist ja eigentlich auch nicht so schwer. Die Redaktion hatte schließlich auch Google (Seite 456: „Google findet schnell und zuverlässig relevante Web-Seiten, Bilder und Nachrichten mit der preisgekrönten Stichwortsuche“) und jede dritte Adresse ist einfach der Suchbegriff mit einem .de oder .org dahinter.

Bild: privat
Michael Brake

arbeitet als freier Journalist, unter anderem für taz2medien und taz.de.

An der bescheuerten Aufgabe, die 6.000 wichtigsten Adressen auszusuchen, scheitert das Buch natürlich. Vimeo und Soundcloud fehlen, dafür gibt es eine Seite mit „Infos aller Art zum Amiga-Betriebssystem“. Celle hat gleich drei Einträge, Indonesien keinen einzigen, und wenn es noch irgendeinen Zweifel daran gibt, dass die Macher keinen Bezug zum Internet haben: Zwölf Hundeseiten sind gelistet, aber nur drei Katzenseiten. Nach welchen „Kriterien“ es die Webshops für Zäune, Perücken, Zimmerbrunnen usw. ins Buch geschafft haben, möchte man auch lieber nicht wissen (eine „Farbige Screenshot-Abbildung Ihrer Web-Seite inkl. Premium-Texteintrag“ kostet 599 Euro, nur mal nebenbei).

Trotzdem gibt es eine Zielgruppe: Menschen, die Angst vorm Internet haben, aber zu jung sind, um „damit jetzt gar nicht mehr anzufangen“. Die ihren Kindern jeden Artikel zum Thema Cyber-Kriminalität aus der Lokalzeitung ausschneiden. Und die Google-Treffer nicht von Google-Kleinanzeigen unterscheiden können. Für sie wurde alles auf eine potemkinsch anmutende Seriosität gebügelt: Der Herausgeber trägt stolz ein „Dipl.-Pol.“ und gleich vorne werden jede Menge Safer-Surfing-Gütesiegel vorgestellt, darunter das vom Web-Adressbuch-Verlag selbst erfundene Jodeldiplom „Zertifizierte Web-Seite“ (auch hier kostet der Mitgliedsbeitrag 599 Euro im Jahr).

Auch aufgeführt ist natürlich die Eigenseite www.web-adressbuch.de. Eine Website, die ein Buch vorstellt, in dem Internetadressen stehen, die aber auf der Seite nicht zu finden sind – irgendwas ist mit der Zukunft in den vergangenen Jahren ziemlich schiefgelaufen.

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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9 Kommentare

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  • S
    Surfer

    "Der Vorteil des Buches ist, dass man tolle Web-Seiten zu Themen entdecken kann, an die man gar nicht gedacht hätte."

     

    Wie schön. Ich nutze für solche Entdeckungsreisen lieber Wikipedia, ein oder zwei Foren und Facebook. Wenn ich dann noch z.B. eine Zeitungs-Startseite öffne, habe ich ganz schnell so viel interessanten Lesestoff, dass ich morgens sehr aufpassen muss, um die Bahn nicht zu verpassen.

  • J
    Jörg

    Der Artikel wirft Herrn Dipl. Pol. Mathias Weber vor, dass man in seinem Buch selbstgemachte Zertifikate kaufen kann, er kontert mit: "2500 positive Pressestimmen sprechen für die Qualität". Luuustig :- ))

     

    ... es gibt nunmal mehr relevante Hunde- als Katzenseiten, wenn man das objektive Kriterium der Qualität anlegt.

  • MW
    Mathias Weber

    Wenn man mit Vorurteilen behaftet einen Artikel schreibt, muss man natürlich krampfhaft Kritikpunkte finden: Auf dem Cover steht groß drauf, dass nur deutsche Web-Seiten aufgeführt werden. Die Web-Seiten Vimeo und Soundcloud sind uns bekannt, sind aber in englischer Sprache. Zu Indonesien haben wir keine sehr gute Informationsseite gefunden, dann wird auch nichts veröffentlicht. Wir suchen die besten Web-Seiten und davon gibt es mehr Hundeseiten als Katzenseiten. Das das Buch „die bessere Alternative zu Google“ ist haben, wir nicht behauptet, sondern ist ein Pressezitat.

    Der Vorteil des Buches ist, dass man tolle Web-Seiten zu Themen entdecken kann, an die man gar nicht gedacht hätte. Denn bei Suchmaschinen muss man immer ein Stichwort im Kopf haben, das man in die Suchmaske eingeben muss, um Treffer zu erhalten. Also sucht man immer in Bereichen, die man schon kennt. Beim Web-Adressbuch für Deutschland kann man sich einfach durch die Themenbereiche treiben lassen und entdeckt ständig neue spannende Surf-Tipps. Außerdem haben bei Suchmaschinen wie Google oftmals nur noch die Web-Seiten eine Chance, auf den Trefferlisten oben zu erscheinen, die ausgefeilte Suchmaschinenoptimierung betreiben.

    Über eine halbe Millionen verkaufter Exemplare sprechen für die Qualität des Web-Adressbuches, ebenso die anderen 2.500 positiven Pressestimmen.

    Dipl. Pol. Mathias Weber

    Herausgeber „Das Web-Adressbuch für Deutschland“

  • R
    rolff

    Es ist schon erstaunlich mit welchem Sch... die Leute Geld machen wollen.

    Das passende Buch für Erzfeinde.

  • H
    Hannah

    Ein Liste der wichtigsten Internetadressen ist nie komplett, wenn ihr die Pornoseiten fehlen ;-)

  • G
    gosu

    großartiger artikel!

  • B
    Branko

    Womit wir wieder bei der Frage von vor wenigen Wochen wären:

     

    Darf man Bücher wegschmeissen?

     

    Stellen Sie sich vor, eine 2001er Ausgabe dieses Buchs wurde Ihnen mal geschenkt und steht bei Ihnen im Regal.

     

    Darf man nicht wegschmeissen.

    Ist ja ein Buch.

    Vielleicht braucht man's nochmal.

    LOL

  • N
    nabend

    Werden Knuddels.de und Taz.de erwähnt?

  • M
    Megestos

    Für einen kurzen Moment dachte ich, es könnte sich bei dem Buch um eine Liste von IPs handeln - für den Fall, dass sämtliche DNS-Server ausfallen oder blockiert werden. Das wäre sogar recht praktisch, auch wenn ich mir so eine Liste eher selbst ausdrucken würde :)