Kolumne Neue Werte: Camouflage des postmodernen Spießers
Er ist giftig, er ist gefährlich, er ist gemein. Ein Hassgesang auf den Geländewagen der neuen Werte.
V om SUV, dem sports utility vehicle, vulgo Geländewagen, ist in dieser Kolumne bereits die Rede gewesen. Ganz Mitte ist voll mit diesen Teilen, sie sind die Pest. Aber warum wollen Menschen überhaupt diese teuren, schweren, für den Stadtverkehr überdimensionierten, viel zu viel Sprit fressenden, das Klima zerstörenden, in kein Parkhaus passenden, für Fahrradfahrer, Kinder und ältere Mitbürger lebensgefährlichen und zu allem Überfluss meist auch hässlichen Dinger besitzen?
Das Aussehen und die spezifischen Eigenschaften des Geländewagens wie Vierradantrieb, großer Abstand von Achsen und Karosserie zum Boden, Ladeflächen, außen angebrachter Ersatzreifen, Bullenfänger etc. ergeben sich nicht aus irgendwelchen ästhetischen, sondern aus funktionalistischen Überlegungen, die gutes Design in Formen übersetzt.
Weil die US-Armee robuste Aufklärungsfahrzeuge für den Krieg in Europa brauchte, gab sie Anfang der Vierziger bei Willys-Overland das Model MB in Auftrag, im Armyslang sogleich Jeep genannt. Die Wehrmacht hatte ebenfalls den Bedarf nach kleinen soliden Autos für den Einsatz hinter der Front erkannt und ließ in der Stadt des KdF-Wagens den Kübelwagen bauen.
ist Kulturredakteur der taz.
Wer heute in der Stadt Geländewagen fährt, ins Büro oder zum Shoppen oder um die Kinder von der Schule abzuholen, gibt also vor, in Wirklichkeit auf einer wenn nicht gefährlichen, dann doch zumindest mühseligen und entbehrungsreichen Mission mit ungewissem Ausgang zu sein.
Das wilde Leben
Der Geländewagen ist ein Zeichen, das ein wildes Image vermittelt, ganz so, als seien seine Fahrerinnen und Fahrer außerhalb ihrer Büros, Praxen oder Agenturen ganz besonders lockere und außerdem abenteuerlich gesonnene Leute. Wie sagte J. C. Collins von Fords Marketingabteilung über die Hausfrauenpanzer, die seit Ende der Neunziger Amerikas Straßen verstopfen? "Die einzige Gelegenheit, bei der die Dinger ins Gelände fahren, ist um drei Uhr morgens, wenn der Fahrer von der Garagenauffahrt abkommt."
Der Geländewagen ist Ausdruck eines Paradoxes. Er steht, wenn man ihn in die Vitrine stellt - wie das New Yorker MoMA den originalen Willys-Jeep -, für das modernistische Credo "form follows function". Allerdings nur, solange man das Gerät an sich betrachtet. Ein Geländewagen in der Stadt ist, anders als sagen wir ein Militärstiefel im Berliner Winter, nicht viel mehr als Ornament und Verbrechen. Warum fahren diese Leute nicht kleine, schöne und halbwegs energieeffiziente Sportwagen, wenn sie ihr Geld vorzeigen wollen? Oder, noch besser, gehen teuer essen?
Das Führen von Jeeps, von Land Rovern und vor allem von geländewagenähnlichen Klonen von BMW und Mercedes, Mitsubishi und Toyota ist Ausdruck um sich greifender gear queerness, wie William Gibson die gemeine Ausrüstungsgeilheit nennt. Sie speist sich aus dem Bedürfnis, in einer aus dem Leim gehenden Welt authentisch funktionales Equipment benutzen zu können, um sich gewappnet und beschirmt zu fühlen.
Die Hölle, das sind die anderen. Die Rente nicht sicher, Europa kaputt, und demnächst fällt uns der Himmel auf den Kopf. Gefühlt lauert der Bürgerkrieg schon um die Ecke. Wer Geländewagen fährt, verabschiedet sich symbolisch aus der Gesellschaft.
Landarzt, Förster, Bauer
Der Geländewagen ist der casual friday unter den Automobilen. Ein Statussymbol, das weder Eleganz noch Schönheit verspricht. Er steht beispielhaft für eine neue Form der Repräsentation ökonomischer Macht, die dezidiert nichtbürgerlich, um nicht zu sagen antibürgerlich ist. Zugleich aber ist nichts Befreiendes, Transgressives, Fortschrittliches oder gar Verführerisches am Fahren eines Geländewagens.
Es spricht auch ganz pragmatisch betrachtet nichts dafür, es sei denn, man wäre Landarzt, Förster oder Bauer. Wenn man aber diesen Gedanken erst einmal formuliert hat, zeigt sich, dass der antibürgerliche Habitus des Geländewagenfahrens nur trügerischer Schein, die Camouflage des postmodernen Spießers ist.
Trotzdem ist Geländewagen zu fahren gesellschaftlich akzeptiert. So mancher Geländewagen kriegt jetzt, und da hört mein Verständnis wirklich auf, durch das neue, zum 1. Dezember eingeführte CO2-Label einen Koscherstempel verpasst. Denn das Label, da hat die Autolobby gute Arbeit geleistet, vergibt seine Noten relativ zum Gewicht des Gefährts. So kann es passieren, dass ein schweres, großes Auto eine grünere CO2-Einstufung bekommt als ein leichteres, das weniger Dreck pro gefahrenen Kilometer produziert.
Als wäre das alles nicht genug, rennen neuerdings Ordnungsamtsmitarbeiter in Uniform am Senefelder Platz herum und belegen Väter mit Strafzetteln, die mit ihren Kindern auf dem Gehweg Fahrrad fahren. Sollen sie sich etwa auf die Straße trauen, wo der SUV regiert? Ich schlage massenhaftes, ostentatives Radfahren auf den Gehwegen von Pankow vor. Aber bitte passt auf die Fußgänger auf, die können nichts dafür!
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