Kolumne Nebensachen aus Split: Ein Versuch, die Schwestern zu enterben

Als Milka den Schlüssel ins Schloss steckte, ahnte sie noch nicht, was auf sie zukommen sollte. Noch freute sie sich, endlich wieder einmal das Elternhaus zu betreten, ...

... das eine oder andere zu renovieren, gründlich sauber zu machen und mit ihrer Tochter einige Wochen im Dorf auf der Insel vor der kroatischen Hafenstadt Split zu genießen.

Der Vater war der Mutter, die vor wenigen Monaten zu Grabe getragen worden war, kurz darauf gefolgt. Monatelang hatten Milka und ihre Schwester Ruza die beiden gepflegt. Zwei Beerdigungen, das Defilee der Dorfbevölkerung und die große Anteilnahme hatten sie berührt.

Jahrzehnte schon wohnten die beiden Schwestern in Split, sie arbeitete als Lehrerin, Ruza als medizinisch-technische Assistentin. Jetzt, nach dem Tod der Eltern, wollte sie den Kontakt zu ihren alten Nachbarn wieder auffrischen, die Frühsommerluft genießen, Gemüse ziehen und endlich wieder in der Bucht schwimmen, wo sie schon als Kind herumgetollt war.

Sie drehte den Schlüssel um. Es knirschte. Doch das Schloss gab nicht nach. Sie versuchte es erneut. Nichts. Sie rief den Nachbarn zur Hilfe. Doch auch Mile schaffte es nicht. Da kam Ana, eine andere Nachbarin, und sagte, ihr Bruder hätte die Schlösser ausgetauscht.

Milka war perplex. Nachdem sie sich gefasst hatte, machte sie sich auf den Weg zum anderen Ende des Dorfes, wo ihr Bruder wohnte. Als sie klopfte, rührte sich nichts. Erst nach dem dritten Versuch öffnete sich die Tür. Die Schwägerin lugte durch die Öffnung. "Was willst du?", fragte sie. "Stipe hat die Schlösser vom Elternhaus ausgetauscht. Ich will mit ihm reden." "Er ist nicht da, komm morgen wieder."

Auch am nächsten Tag war Stipe nicht anzutreffen. Schließlich sah sie ihn in der Cafébar. Wütend ging sie auf ihn zu. "Warum hast du die Schlösser ausgetauscht?" "Damit ihr nicht reingehen könnt." "Warum denn nicht?" "Das Haus gehört uns Brüdern, ihr habt kein Recht darauf. So wollte es Vater, so bestimmt es unsere Tradition."

Verstört ging Milka zum Haus zurück und setzte sich auf die Bank. Ausgerechnet die Brüder. Keiner von ihnen hatte sich um die Eltern gekümmert. Und jetzt das. Es ging ja nicht nur um das Haus, sondern auch um die Olivenhaine, die Obstbäume und Gemüsegärten.

"Milka redet von einer alten Tradition. Aber nicht vom Gesetz. Danach steht dir dein Anteil zu. Geh zum Rechtsanwalt. Du musst kämpfen", forderte die zweite Nachbarin. Doch Milka zögerte. "Vater hat es so gewollt." Sie blieb eine Weile sitzen. Und rief ihre Schwester an. Auch die wusste nicht, was zu tun ist. Ihr Blick schweifte zum Feigenbaum. Dann ballte sie die Faust. Sie soll am nächsten Tag zum Rechtsanwalt gegangen sein, munkeln die Nachbarn.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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