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Kolumne Minority ReportArmutszeugnis Deutschland

Wer an diesem Punkt immer noch Rassismus verharmlost, spielt der AfD in die Hände. Wieso nicht gleich das Original wählen?

Das Rassismusproblem in Deutschland wird weiterhin ignoriert Foto: dpa

E rinnern Sie sich noch an die Bundestagswahl vor genau einem Jahr, als die AfD 13 Prozent der Stimmen bekam? Einer der Sätze, die ich zu dieser Zeit am häufigsten hörte, lautet: „Aber 87 Prozent haben die AfD NICHT gewählt!“ Das „aber“ sollte wohl beruhigend wirken, es meinte: Mach dir keine Sorgen. Übertreib nicht. Mach sie nicht größer als sie sind.

Was sagen diese Kolleg*innen eigentlich heute? Hallooo! Sie sprechen so leise, ich kann Sie nicht verstehen. Laut dem aktuellen Armutszeugnis namens ARD-Deutschlandtrend liegt die völkische Partei nämlich inzwischen bei 18 Prozent – gilt nun also als zweitstärkste Kraft. Jede*r fünfte Wahlberechtigte würde demnach sein Kreuz bei einem Deutschland nach AfD-Ideal machen. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Partei sich ganz unverfroren mit Neonazis Seite an Seite zeigt. Darf ich mir jetzt Sorgen machen, bitte? Ist es gerade genehm?

Die Strategie des Coolbleibens und Kleinredens ist nicht nur heftig missglückt. Diese Partei hat es geschafft zu bestimmen, worüber wir tagtäglich reden. Migration, Kriminalität, sexuelle Gewalt – wann immer eine Meldung erscheint, die Potenzial hat, einen Kausalzusammenhang zwischen diesen drei Faktoren zu implizieren, pickt die AfD sie heraus und schafft es über die Sozialen Medien den Fall als großes Politikum zu inszenieren.

Hört auf, mit eurer Ignoranz

Die übrigen Parteien halten sich entweder seltsam bedeckt. Oder integrieren den AfD-Sprech gleich mit in ihr Repertoire. Nach rechts abgrenzen? Kommt niemandem in den Sinn. Überregionale Medien, die normalerweise nicht über Mordfälle und Vergewaltigungen berichten, tun es schließlich doch. Aber eben nur in den Fällen, bei denen die AfD eine politische Relevanz simuliert. Wann immer Geflüchtete oder nicht-weiße Personen in Verdacht stehen.

Was hingegen passiert, wenn Rechte auf offener Straße Jagd auf Menschen machen? Erstmal wird das Wort „Hetzjagd“ erörtert. In einem Land, in dem wir uns 2018 immer noch nicht darauf verständigen können, dass „farbig“ keine korrekte Bezeichnung für Schwarze Menschen ist, fehlt es offensichtlich nicht an Zeit und Muse, darüber zu spekulieren, ob bei einer Hetzjagd nicht „Menschen andere Menschen über längere Zeit und Distanz vor sich hertreiben“, und die publik gewordenen Videos aus Chemnitz dementsprechend eher eine „Menschenjagd“ oder „Jagdszenen“ dokumentieren, als eine „Hetzjagd“.

Ja, die deutsche Sprache und ihre Feinheiten. Soviel Zeit muss sein, die Definition von Pogromsformen zu präzisieren, während Nazis mit Fackeln durch Chemnitz, Köthen und Dortmund marschieren. Aber sich das N-Wort abzugewöhnen ist dann doch wirklich zu anstrengend.

Nun könnte man wieder sagen: „82 Prozent würden IMMER NOCH NICHT die AfD wählen!“ Ja, Glückwunsch an alle Mathegenies da draußen. Aber das Problem sitzt tiefer. Wer an diesem Punkt, wo Migrant*innen sich in vielen deutschen Städten kaum mehr auf die Straße trauen, immer noch das Rassismusproblem in Deutschland ignoriert oder kleinzureden versucht, spielt der AfD nur in die Hände. Denn die Normalisierung von rassistischer Gewalt beherrscht diese Partei derzeit nun mal am besten. Wieso also nicht gleich das Original wählen?

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Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Solange von Staatswegen nicht Schluss gemacht wird mit der Differenzierung von Rechter und Linker Gewalt, wird es keine Ergebnisse in irgend einer Richtung eben!

    Wer sich mit seinen Taten und Äußerungen gegen den Staat durch Androhung von Gewalt und Hetze stellt, muss mit der vollen Härte des Gesetzes konfrontiert und geahndet werden!

    Diese völlig Sinnlose Abschätzung, ob das eine Tat von der Antifa oder der Rechten, oder der Nazis war sollte und dürfte doch keine Rolle spielen, wenn es um die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland geht!

    Immer wieder ist zu hören, dass die Linken Gewalttäter, die Antifa, politische Relevant seien, die Rechten oder Nazis aber nur Gewalt und Hetze fördern und auch Ausländerfeindlichkeit!



    Glaubt jemand denn wirklich, das derjenige der von den Linken zusammen geschlagen wurde andere Schmerzen empfindet, als der der von den Nazis geschlagen wurde?

    Das ist doch ausgemachter Blödsinn! Wer mit diesen Extremen zusammen arbeitet, oder zusammen Demonstrationen macht, muss mit schweren Konsequenzen zu rechnen haben und es darf auf gar keinen Fall wieder solche Diskussionen darüber geben, welche Wortwahl nun überhaupt Konsequenzen nach sich zieht, wenn es einen Tatbestand geht, bei dem Menschen bedroht werden!

    Diese Diskussion, die Maaßen losgetreten hat und was sich daraus für ein Theater ergeben hat, zeigt doch nur auf, dass die Regierung sich durch die Diskussionen lieber erst ein mal aus der Verantwortung verabschieden wollte, da sie völlig Verunsichert ist, wie sie mit diesen Gewalttaten um zu gehen hat!



    Schon allein das ein so Ranghohes Mitglied einer Regierungsbehörde versucht hat dieses Desaster klein



    zureden beweist doch nur, dass es der Regierung an Machtwillen fehlt sich durchzusetzen!

    Es geht den Regierenden nur noch darum die Umfragewerte zu ihrem Tun zu beobachten und so zu handeln, dass ihre Parteiumfragewerte steigen mögen.

    Ihres unüberlegtes Handeln verursacht die größte Politikverdrossenheit seit 1945!!!

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Man hat sie gehätschelt, verharmlost, in jede zweite Talkshow eingeladen und jetzt haben wir da eine meinetwegen rechtspopulistische Partei, die offen auf der Straße mit Nazis gemeinsame Sache macht. Und deren Umfragewerte steigen.

    Jetzt sollten alle die demokratisch gesonnen sind, das sollten alle sein von Antifa bis CDU, einen klaren Trennungsstrich ziehen. Auf allen Ebenen und immer. Und, das ist natürlich nur ein frommer Wunsch, mit der AfD-Light-Rhetorik aufhören.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Die Antifa ist doch nicht demokratisch...

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Cededa Trpimirović:

        Haben die einen Diktator?

  • Ihrer Aufforderung folgen ja, scheinbar, immer mehr Wähler. Wobei sich niemand die Mühe macht zu konkretisieren, ob der Prozentsatz ansteigt, weil es mehr Wähler für die AfD gibt, oder die anderen Parteien Wähler verlieren und alles nur reine Mathematik ist. Trotz allem, ist die AfD nicht eine Sache, die man bekämpfen oder diskreditieren kann, sondern eine Vertretung von Millionen Stimmberechtigten, die eine Meinung haben. Die gefällt vielen nicht, aber in einer Demokratie haben sie ein Recht darauf.



    Durch Verbieten löst man keine Probleme.