piwik no script img

Kolumne Melodien aus Malmö #8We are not one

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

In Malmö demonstrieren Menschen gegen das Motto des ESC. Leider etwas links-übellaunig. Und leider am falschen Tag.

Alle anders, alle gleich? Bild: dpa

A m Donnerstag wären sie am richtigen Platz zur passenden Zeit gewesen. Die Demonstranten, die vor der Halle der Malmö Mässan Arena mit Flugzetteln gegen den Eurovision Song Contest protestieren. Besser: gegen die Ideologisierung des Events.

Das Motto heißt ja: „We Are One“. Und das sei eine große Lüge, wie von den Flugblattverteilern zornig auf Nachfrage angefügt wurde. Auf den Bättern, die sie verteilten, stand in dem gleichen Style des ESC selbst: „We Are Not One“. Das ist kein schlechter Einfall gewesen. Etwa wie einer auf einer Konferenz auf irgendeinen Beitrag sagt: Na, da bin ich ganz anderer Meinung – und alle Welt am Konferenztisch irritiert guckt, weil man doch gar nicht damit rechnet, dass man eine einmal getroffene Haltung wieder ändern kann. Aber diese Gegenkampagne, die man ins Deutsche mit „Wir sind doch nicht eins“ übersetzen kann, lebt, wie leider alle linke Kritik an herrschenden Verhältnissen, von einer gewissen Übellaunigkeit.

„We Are One“ ist ja die tatsächlich misslungene Werbekampagne der Stadt Malmö mit den ESC-Verantwortlichen und dem schwedischen Fernsehen SVT, das Credo des Pop-Festivals zu erläutern: Wir sind ein Reigen an Eurovisionsländern, uns trennt vielleicht dies & das, aber nicht die Musik. So ungefähr.

Bild: privat
Jan Feddersen

ist Redakteur für besondere Aufgaben der taz, verfolgt den ESC seit seiner Kindheit und bloggt für den NDR aus Malmö.

Aber die Demonstranten trugen Bedenken zu ganz anderer Art vor. Nicht zur Musik, zu den Kostümen, zur Verpflegung, zu sonstwas auch immer. Sondern, ein wirklich ernsthaftes Anliegen: Dass es diese Einigkeit nicht gibt. Vielmehr seien auch in Schweden sehr viele Menschen, die die Preise der Tickets nicht bezahlen könnten; außerdem gebe es „Papierlose“, die ohne Pass, ohne jede Anmeldung irgendwo in Schweden leben und keine Chance auf Legalisierung ihrer (allerdings illegalen, moralisch wahrscheinlich legitimen) Einwanderung haben.

Wie bei Olympia 1972

Ah, darum ging’s also Dienstag am Eingang der Malmö Mässan Arena: Dass es Menschen gibt, die in Schweden leben, es dort weiter tun möchten, aber nicht wissen, wie sie das auf legale Weise schaffen, ohne vorher einkassiert und wieder abgeschoben zu werden. Also die übliche Agenda von linken, antirassistischen Gruppen. Ist vollkommen okay, dass sie das tun. Nur: Glauben sie wirklich, dass sie eine ESC-erwartungsfrohe Malmöer Bevölkerung oder die ESC-Touristen aus gefühlt sechs Dutzend Ländern damit erreichen? Soll eine_r, der_die ein solches Flugblatt liest, plötzlich die Augenbrauen heraufziehen und sagen: Mann, das hab‘ ich ja gar nicht gewusst, na, da muss ich gleich was machen?

Besser, so ließe sich diese Konsequenz als Handlungsanweisung skizzieren, der zerreißt sein Eintrittsticket, denn an diesen Billetts hängt ja das Blut der Papierbesitzer, die einfach so einen Pass, eine Staatsangehörigkeit haben. Aber jetzt wissen sie von den Ausgegrenzten, den Menschen, die es gibt, für die aber nicht gilt: „We Are One“. Ich hatte meine Zweifel, ob dieser Aufklärungs- und Enpörungsgestus mehr als die Empörungsstifter bewegt. Hätte ich die nicht haben dürfen? Könnten meine Sätze als Einverständnis mit dem Illegalenstatus der Papierlosen gelesen werden? Wäre ich dann ein schlechter Mensch, ein Rassist … Ach, ich weiß es nicht.

Es ist mit dem Protest gegen einen ESC so wie mit den Projekten Anfang der Siebzigerjahre (Kunzelmann, die linke Szene usw. usf.) gegen die Olympischen Spiele 1972 in München: Die Aufklärer sehen nicht, dass bestimmte Events nur immanent kritisierbar sind (beim ESC wäre das: bessere Lieder, bessere Kostüme, bessere Mikrofone, mehr und billigere Eintrittskarten). So nahm sich der Mann, so nahm sich die Frau, die ihre Flugzettel gegen das wirklich bedauernswerte Leben von Papierlosen in Schweden aus wie jene, die am Bahnstein der Arena-Station Hyllie standen und gar keinen Muckser gaben: Die Zeugen Jehovas mit ihrem „Wachturm“. Lächeln für die gute Sache, tragen schlimme, sehr sehr unschrille Klamotten – und gehen nicht auf die Nerven.

Allerdings: Donnerstag Abend wären sie alle nötig gewesen, die für die Papierlosen sind, gegen die Ausgrenzung und für Inklusion, auch die Jehova-Nerds. Sieben von 17 Ländern mussten im zweiten Halbfinale ihre Ambitionen begraben. Kommentiert in eurovisionspolitischer Hinsicht ist es hier. Kurz gesagt: Exjugoslawien ist weg, auch Albanien, San Marino (Ralph Siegel, allen Prognosen zum Trotz). Auch Israel: Man tritt den Freunden aus diesem Land nicht zu nah, wenn man einfach nur dies festhält: Es lag nicht an antisemitischen Demonstrationen in Malmö, sondern einfach am Lied. Ein schlechtes Lied bleibt auch dann schlecht, wenn es aus Tel Aviv oder Jerusalem geschickt wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • AU
    Andreas Urstadt und Julien Lewis

    eine gute Idee, alle auf einmal singen lassen, wie beim 100m Lauf. We are one beyond the facts of national votings. Es koennte by the way auch alles als medley durchgehen und alle freuen sich. Vorstellbar sind 24 gleichzeitig verteilte Buehnen. Das ist sehr wohl ne politische und bessere Idee, wenn auch auf den Buehnen Gastmusiker anderer Ethnien stehen. Europa ist viel groesser und noch groesser wenn eine Buehne der Illegalen dazu findet (wuerde das der offizielle contest uebernehmen waere er aus dem Kalten Krieg nicht nur im 21. Jh angekommen, gleichzeitig auch im offenen Werk, das Umberto Eco damals untersuchte, heute auch gern mit Projekt uebersetzt

     

    das floatende Land der Illegalen antreten lassen waere wirklich Europa und in der Realitaet noch dazu ganz lustig angekommen

     

    corporate social responsibility anstatt corporate social identity

  • T
    T.V.

    Wer den ESC immanent kritisiert, hat den Schuss noch nicht gehört wag ich mal zu behaupten. Competition at its best. Eins von vielen Festen des Geldes, wo das verschwendet wird, was auf den Strassen fehlt - am falschen Tag finden diese Gesangsorgien statt, nicht die Demos.

  • T
    tommy

    Herr Feddersen,

     

    warum schreiben Sie so viel zu einer belang- und sinnlosen Veranstaltung wie dem ESC? Und wieso subventioniert die taz, der es ja finanziell wohl auch nicht so gut geht, Ihre Vorliebe für Schlager?

  • IE
    Ihr Eva

    Die alte Roth weiß gar nicht wie recht Sie hat.

     

    "Der ESC ist bunt und multikulti ... Der Grand Prix - oder heute ja Eurovision Song Contest - sagt so viel über Europa und seine Befindlichkeiten aus" (Roth)

     

    “Wo ist das Hotel der Israelis? Wir wollen es wegbomben.” (bunte Gruppe Durchschittseuropäer)

     

    Aber solche Vorgänge, sowie antisemitische Aufmärsche im Vorfeld des bunten Contests sind ja nur unliebsame Fußnote, wenn überhaupt.

     

    Ja auch das aktive Wegschauen "sagt so viel über Europa und seine Befindlichkeiten aus".

  • A
    anke

    Es kann einem schon die Laune verderben, wenn man so sieht, wie Menschen Menschen behandeln. Leider kommt, wie mein Papa zu sagen pflegt, aus einem verkniffenen Arsch tatsächlich kein fröhlicher Furz. Dass also auch nur ein einziger Illegaler ein Leben in Sicherheit führen kann, dass ein einziger Armer nicht mehr knausern muss oder ein einziger Rassist seine bescheuerte Haltung aufgibt, nur weil eine Hand voll wohlmeinender Aktivisten den ESC zur Bühne für die eigenen Ideen macht, ist so gut wie ausgeschlossen. Genau so ausgeschlossen ist es allerdings, dass "wir" tatsächlich "eins" werden, nur weil eine Reihe von Nationen einzelne Auserwählte an einem bestimmten Tag an einen bestimmten Ort schicken, damit sie da gemeinsam oder auch um die Wette singen, tanzen, reden oder Socken häkeln.

     

    Keine Werbung der Welt kann herauf beschwören, was nicht ist und vielleicht auch gar nicht sein sollte. Nicht unsere Hautfarbe, unsere Muttersprache oder unsere Kleidung trennen uns Menschen, sondern die Tatsache, dass wir ganz verschieden reagieren auf die Dinge, die uns jeden Tag begegnen. Und anders, als viele Leute zu glauben scheinen, machen uns auch nicht unsere Nationalität, unser Musikgeschmack oder unsere Religion zu Gleichen unter Gleichen. Diese Dinge gaukeln uns Gemeinsamkeit lediglich vor. Im Grunde trennen sie uns eher, obwohl bzw. gerade weil sie nur eine Illusion ist, die immer wieder zerbricht.

     

    Klingt kompliziert? Ist ganz einfach. Das einzige, was wir alle gemeinsam haben, ist unsere Verschiedenheit. So lange uns diese Verschiedenheit nicht genügt, um daraus ein Gemeinschaftsgefühl zu machen, werden wir weiter sinnlos diskutieren, demonstrieren und um die Wette singen. In der Zwischenzeit werden Andere ihre Mitmenschen weiter unterdrücken, ausbeuten, quälen oder sogar töten. Diese Leute nämlich haben schon lange beschlossen, nicht WIR sein zu wollen, sondern ICH. Die wollen nirgendwo mehr dazu gehören. Und genau deswegen bestimmen sie indirekt über uns alle.

  • R
    ridicule

    JAF … gibt den Oberlehrer der Nationen.

    Gähn - wie der content.

    Danke.

  • L
    Lars

    Wie schon in Baku, so stören auch in Malmö dem Jan, diese "Übellaunigen", die sich statt mit der schönen Neben^W Hauptsache ESC sich um so Unwichtiges und üble Laune Verbreitendes wie Menschenrechtslage kümmern und dabei auch noch ihn und seine gern ungetrübt sein wollende Feierlaune beeinträchtigen. Was ein Ding! Statt besserer Lieder fordern die eine bessere Welt! Dabei ist Jans Welt doch ganz in Ordnung, mit bunt geblümten Tellerrand, so ca. 185 cm hoch.

    Nein, Jan, niemand soll sein Ticket wegschmeißen. Man kann solche Ereignisse wie ESC oder Olympia als Plattform benutzen, um Aufmerksamkeit für seine Ziele zu erreichen (gelingt ja z.B. mit diesem Artikel auch ganz gut) und kann (sofern Systemschergen wie in Baku das Bild nicht trüben), dennoch Spaß am ESC haben. Der Rest der Welt existiert auch neben dem ESC weiter. ´Jan, begreif das mal - und verbreite keine üble Laune, nur weil dich das Überschwappen über deien Tellerrand stört.

  • I
    isomatte

    "Es lag nicht an antisemitischen Demonstrationen in Malmö[...]"

     

    Interessant, gibt's dazu noch mehr Infos? Oder bleibt die taz weiterhin still wenn es um Judenhass auf Malmös Straßen geht?

  • HZ
    Hans Zahner

    Lieber Herr Feddersen,

    eigentlich klingt Ihr Schrieb einfach nach: "Ich bin in Malmö um eine gute Zeit zu haben und mag jetzt nicht mit politischen Dingen konfrontiert werden!"

    Eher sehr schwach.