Kolumne Männer: Hair
Moden bestimmen, was als männlich gilt. Verpassen sie nicht die neuesten Trends.
S echzig Mark machten mich zum Mann. Die Initiation war mir etwas peinlich. Ziemlich geschäftsmäßig war es, als ich der Frau erklärte, was ich gern hätte. Männer brauchen so etwas von Zeit zu Zeit nun mal, sagte ich mir. Ist doch nichts dabei. Boys will be boys. Aber trotzdem war ich irgendwie beschämt, als ich mein Gerät schließlich auspackte, es anblickte und dachte: Das ist also mein erster Barttrimmer.
Seither trage ich einen Drei- bis Fünftagebart: alle paar Tage mechanisch in Form gebracht, weder mit einem Vollbart zu verwechseln noch mit einer vergessenen Rasur. Nun mögen Sie ironisch ausrufen: "Hach, wie interessant! Na, und in Afrika ist Muttertag!" Aber unterschätzen Sie nicht die Macht der visuellen Codes. Bärte formen nicht nur Gesichter, sondern auch unser gesellschaftliches Bild von einem Mann.
Männer und Frauen nähern sich einander in Rechten und Pflichten immer stärker an: Bei beiden Geschlechtern wächst der Wunsch nach gemeinsamer Kindererziehung. Frauen fordern zu Recht dieselbe Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen. Und Anke Engelke könnte Thomas Gottschalk beerben. Aber ohne Differenzen zwischen den Geschlechtern, das dämmert vielen, wird das Leben verdammt öde. Damit sind wir bei der Geschichte mit Bart.
Matthias Lohre ist Parlamentsredakteur der taz.
Seit einigen Jahren tragen viele Männer, die sich für modisch halten, wieder Gesichtsbehaarung. Diese ist zwar so überflüssig wie das Einrad oder Lady Gagas Musik, aber gesellschaftlich akzeptiert. Denn hier geht es um Symbole: Nur Männer können sich einen Bart wachsen lassen. Und jetzt erwarten Sie bitte keinen plumpen Witz über Damenbärte. Das hat Madonnas Tochter Lourdes nicht verdient.
Die Sehnsucht nach Zeichen des Maskulinen hat bizarre Folgen. In TriBeCa, das ist das Berlin-Prenzlauer Berg von New York, bietet eine Firma Designeräxte an. Das Modell "Earle Grey" mit Holzgriff in graubrauner, blauer und gelber Bemalung kostet 350 Dollar. Ein angesagtes Accessoire für blasse, dünne Grafikdesigner mit übergroßen Brillen, offen getragenen Holzfällerhemden und Shirts mit tiefem V-Ausschnitt. Vielleicht gilt ja, in einem Land mit fast so vielen privaten Schusswaffen wie Einwohnern, das Axt-Tragen gar als Zeichen von Friedfertigkeit.
Noch ein Beispiel: Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts galt Rosa in gehobenen Kreisen als Farbton für männliche Babys. Als "kleines Rot" assoziierte man es mit Leidenschaft, Blut, Kampf und Eros. Blau hingegen gilt in der christlichen Tradition als Farbe Marias. Was sagt das über die neuen Polizeiuniformen?
Die Sehnsucht nach Geschlechtszugehörigkeit ist meiner Meinung nach für die westliche Welt im frühen 21. Jahrhundert das, was der Nationalismus fürs Europa der Kleinstaaten des 19. Jahrhunderts war: eine Gemeinschaft stiftende Erzählung in turbulenter Zeit. Der Unsinn solcher Codes befreit uns aber nicht von ihnen. Wir brauchen sie zur Orientierung. Warum denken wir uns nicht einfach neue aus? Wie gern lebte ich in einer Welt, in der als extrem männlich gilt, zu gähnen. Vielleicht versuche ich es auch mal mit einem Drei-Tage-Nasenhaar-Bart.
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