Kolumne Macht: Manipulieren für Anfänger
Der Streit um den Armutsbericht der Bundesregierung zeigt: Fakten, die alle kennen, kann man kaum fälschen. Vor allem nicht in Zeiten des Internets
D ie Frage ist doch gar nicht, ob es unmoralisch, dreist, verlogen oder alles zugleich ist, aus politischem Kalkül heraus einen Bericht zu manipulieren. Die Frage ist, wie man so unbeschreiblich dumm sein kann, das vor aller Augen zu tun.
Ein Teil der Empörung über Änderungen im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist albern. Es ist kein Skandal, sondern Alltag, wenn ein Papier, an dessen Abfassung verschiedene Ministerien mitarbeiten, mehrfach redigiert wird und nicht gleich der erste Entwurf unter stehendem Applaus aller Beteiligten durchgeht.
Dass ein Minister versucht, in einem Bericht seine Weltsicht unterzubringen, ist ebenfalls kein Skandal. Das gehört zu seinen Aufgaben. Es wäre ja eigenartig, wenn er im Amt die Überzeugungen nicht länger verträte, die ihn überhaupt erst auf seinen Posten gebracht haben.
Aber eine politische Haltung hat nichts damit zu tun, missliebige Tatsachen zu unterdrücken. Und wenn sie damit gelegentlich doch etwas zu tun hat, dann sollte es wenigstens niemand merken.
Die Glaubwürdigkeit ist dahin - so oder so
Es gibt eine herzerwärmende Erkenntnis im Zusammenhang mit dem endlich veröffentlichten Armutsbericht der Bundesregierung: Auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat offenbar gute Freunde – oder zumindest loyale Mitarbeiter, die sich nicht davor fürchten, ihm unangenehme Wahrheiten zu sagen.
Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Ihre Kolumne „Macht“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.
Zum Beispiel die, dass es nichts mehr nützt, Informationen aus einem Papier herauszustreichen, die inzwischen sowieso alle kennen.
So finden sich nun in der endgültigen Fassung des Berichts wenigstens einige der Fakten wieder, die zwischendurch im zweiten Entwurf plötzlich fehlten. Sie sind zwar ein bisschen umständlicher formuliert als in der Ursprungsversion und auch besser versteckt, aber immerhin. Sie stehen drin. Anderes fehlt nach wie vor, aber darauf kommt es gar nicht mehr an.
Die Glaubwürdigkeit ist dahin – so oder so. Und das wird im Hinblick auf die wachsende Politikerverdrossenheit sehr viel weiter reichende Folgen haben, als wenn diese Bundesregierung noch mehr unerfreuliche Wahrheiten eingestanden hätte.
Es gibt andere Quellen als die Bundesregierung
Zum Beispiel, dass es eine wachsende Einkommensspreizung gibt, die das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung verletzt. Eine solche Aussage ist zwar für jede Regierung peinlich, aber leider für die sie tragenden Parteien derzeit nicht bedrohlich.
Da die Zahl der Nichtwähler ausgerechnet in den Teilen der Bevölkerung wächst, die in der Armutsfalle sitzen, muss die Koalition auf diese Leute immer weniger Rücksicht nehmen – und handelt entsprechend. Stimmen, die man ohnehin nicht bekommt, kann man nicht verlieren.
Aber auch Wählerinnen und Wähler, denen es materiell gut oder gar besser geht als früher, regieren empfindlich, wenn sie für dumm verkauft werden sollen. Oder Anlass haben, an der Intelligenz derjenigen zu zweifeln, die sie regieren. Und wie klug sind Politiker, die glauben, frei zugängliche Tatsachen ließen sich im Zeitalter des Internets unterdrücken?
Es ist ja nicht so, dass es keine anderen Quellen für Informationen gäbe als die Bundesregierung. Das Einzige, was durch den Koalitionsstreit über den Armutsbericht erreicht wurde, ist, dass solche Publikationen nicht mehr als verlässlich gelten. Das ist selbst für Gegner der Regierung eine schlechte Nachricht.
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