Kolumne Macht: Parlamente ohne Bedeutung
Wählen gehen? Nicht wählen gehen? Das Einzige, was wirklich helfen könnte, wäre eine Bürgerbewegung und eine Demokratisierung der Europäischen Union.
W ährend Meinungsforscher selbst absurde Koalitionsmodelle für realistisch erklären, um die Spannung bis zum Wahltag irgendwie hochzuhalten, hat sich in meiner Umgebung und auch bei mir selbst in den letzten Wochen nichts geändert. Nach wie vor hat kaum jemand Lust, über die Wahlen zu diskutieren. Weiterhin würden viele am liebsten gar nicht hingehen. Woran liegt das?
Lange habe ich mir selbst in einer nörgeligen Grundhaltung gefallen. Das Spitzenpersonal der Parteien gefällt nicht, die Programme unterscheiden sich nicht substanziell voneinander. Wer behauptet, wirklich etwas ändern zu wollen, ist entweder nicht glaubwürdig oder wird sich nicht durchsetzen können. So die klassische Argumentation am Biertisch. Auch meine.
All das ist nicht falsch und trifft doch den Kern nicht. Schließlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Programmen der FDP und der Linkspartei. Und so begeisternd war die Alternative zwischen Helmut Schmidt und Helmut Kohl seinerzeit auch nicht, dass es Anlass gäbe, allzu nostalgisch in die Vergangenheit zu blicken.
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
Warum also habe ich früher gern gewählt und schiebe heute die Unterlagen missmutig von einer Seite des Schreibtischs auf die andere, gerade so, als hoffte ich, sie würden unauffindbar verschwinden? Vermutlich weniger aus inhaltlichen als aus strukturellen Gründen. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger habe ich das Gefühl, von Spitzenpolitikern belogen zu werden. Die würden vermutlich schon gern tun, was sie behaupten tun zu wollen. Aber sie können nicht. Aus Gründen, die nicht ausschließlich ihnen anzulasten sind.
Der Wunsch, dass sich nichts ändern möge
Ganz egal wie erbittert im Wahlkampf gestritten wird (und worüber): Die Weichen werden auch nach dieser Parlamentswahl nicht neu gestellt werden. Es gibt Leute, die das beruhigend finden. Aber wenn man den Umfragen glauben darf, dann wünscht die Mehrheit – sogar die absolute Mehrheit der Bevölkerung –, dass sich etwas ändert im Land. Dieser Wunsch wird sich nicht erfüllen.
Kein realistisch vorstellbares Regierungsbündnis wird über eine Mehrheit im Bundesrat verfügen, nicht einmal eine Große Koalition. Die Länder haben somit in den nächsten vier Jahren beglückend viele Möglichkeiten, sich die Zustimmung zu Vorhaben auf Bundesebene abkaufen zu lassen. Auf europäischer Ebene sind die Handlungsspielräume nationalstaatlicher Parlamente inzwischen ohnehin begrenzt. Nicht einmal die Entscheidung über den Haushalt – das vermeintliche Königsrecht des Parlaments – ist noch unantastbar.
Auch noch unentschlossen? Warum der Wahlkampf für Kandidaten und Demoskopen auf der Zielgeraden doch noch richtig spannend wird, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. September 2013 . Mit sechs Seiten wahl.taz. Außerdem: Eine Begegnung mit zwei der mächtigsten Bandidos Deutschlands. Und: Brauchen wir noch Buchläden? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die europäischen Gremien und die Länderkammer haben etwas gemeinsam: Die Regierungen haben dort das Sagen, nicht die Parlamente. Es lässt sich darüber streiten, ob das demokratische Prinzip der Gewaltenteilung noch funktioniert. Der Bundestag jedenfalls hat an Bedeutung verloren. Und trotzdem starren wir alle auf die Bundestagswahlen, ganz so, als könnten wir damit über unsere Zukunft entscheiden. Das können wir nicht. Längst nicht mehr.
Also doch nicht wählen gehen? Na ja, das nützt ja auch nichts. Das Einzige, was wirklich helfen könnte, wäre eine Bürgerbewegung für eine Föderalismusreform und für die Demokratisierung der Europäischen Union. Aber das klingt zäh und langweilig – viel langweiliger als eine Diskussion über Wählen oder Nichtwählen. Daher wird es dazu wohl nicht kommen.
Leider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern