Kolumne Macht: Bloß kein „Stichwort Philippinen“!
Zweckgebundene Spenden helfen niemandem. Sie können Menschenleben kosten. Denn sie kommen oft nicht an, wo sie gebraucht werden.
S pendenaufruf in den RTL-Nachrichten für die Stiftung des Senders: „Und bitte vergessen Sie das Stichwort ’Philippinen‘ nicht.“ Doch, bitte vergessen Sie dieses Stichwort – egal, welcher Organisation Sie Geld geben wollen, und unabhängig davon, wie tief das Leid in den Katastrophengebieten Sie berührt. Die Zweckgebundenheit von Spenden nutzt nämlich niemandem. Aber sie kann Menschenleben kosten.
Wer einer Organisation nicht vertraut, wäre gut beraten, ihr überhaupt kein Geld zu geben. Wer jedoch meint, dass Leute redlich und professionell sind, sollte ihnen auch die Entscheidung darüber überlassen, wie sie Spenden verwenden.
Es steht außer Frage, dass die Opfer des Taifuns dringend Hilfe brauchen und dafür viel Geld gebraucht wird. Aber gerade Nothilfe ist eine Aufgabe, die hohe Fachkenntnisse erfordert. Und Spezialwissen. Es reicht nicht, einfach einen Lastwagen mit Energiekeksen und etwas Wasser loszuschicken.
Union und SPD verhandeln über Mindestlohn und Rente. Aber wovon hängt es ab, ob sich jemand arm fühlt? Nur vom Geld? Vier Begegnungen an den Grenzen der Armut lesen Sie in der taz.am wochenende vom 16./17. November 2013 . Darin außerdem: Der deutsche Kunstmarkt muss jetzt endlich Verantwortung für die Raubzüge des „Dritten Reiches“ übernehmen, sagt der Historiker Hanns C. Löhr. Und der sonntaz-Streit: Der neue iranische Präsident Rohani gilt als verhandlungsbereit. Kann man dem Iran trauen? Nein, sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Entscheidend ist die Frage: Wer weiß, wie nach dem Zusammenbruch einer Infrastruktur möglichst vielen Opfern möglichst dauerhaft geholfen werden kann?
Zweckgebunden für Tsunami-Opfer
Organisationen haben verschiedene Aufgaben, und deshalb gibt es für sie auch unterschiedliche Zeitfenster, innerhalb derer sie Sinnvolles leisten können. Die deutsche Abteilung von „Ärzte ohne Grenzen“ hat 2005 öffentlich erklärt, sie wolle keine zweckgebundenen Spenden für die Opfer des Tsunami in Asien mehr annehmen. Ihre Aufgabe dort sei beendet.
Ein Sturm der Entrüstung brach über sie herein, besonders beleidigt zeigten sich Kolleginnen und Kollegen anderer Organisationen. Die weiter Geld für die Region sammelten, ob das nun sinnvoll war oder nicht.
Nur wenige Monate später wurde deutlich, was die Ärzte gemeint hatten. In Pakistan fand eines der schlimmsten Erdbeben der Geschichte statt. Mittel in beträchtlicher Höhe, die ungenutzt herumlagen, konnten dafür nicht verwendet werden. Sie waren zweckgebunden für Tsunami-Opfer gespendet worden. Und viele Mitfühlende in anderen Teilen der Welt hatten kein Geld mehr übrig, das sie hätten spenden können. Ihr Budget für derlei Ausgaben war aufgebraucht.
Hinzu kam: Die Leidenden in Pakistan waren Moslems. Schlecht für Spendensammler. Es gibt – im Westen – eine unveröffentlichte Hitparade von Opfern: Naturkatastrophen laufen besser als Flüchtlingselend, für Kinder wird lieber gespendet als für alte Leute, für Christen lieber als für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften.
Ruanda brauchte Gefängnisse
Nach dem Völkermord in Ruanda wurde nichts dringender gebraucht als neue Gefängnisse. 800.000 Menschen waren getötet worden – es gab viele Mörder. Darauf waren die Haftanstalten nicht vorbereitet. Mehrfach erstickten Verdächtige in ihren engen, überfüllten Zellen.
Ob ich mir vorstellen könne, was im Klingelbeutel landen würde, wenn der Pastor von der Kanzel herab um den Bau neuer Gefängnisse bäte, wurde ich damals gefragt. Ja, das konnte ich mir vorstellen. Deshalb war ich auch nicht überrascht, als ich Organisationen dabei beobachtete, wie sie Nahrungsmittel an Kinder verteilten. Die in dem Land seinerzeit gar nicht benötigt wurden. Das Internationale Rote Kreuz erbarmte sich schließlich. Und baute.
„Ärzte ohne Grenzen“ setzt inzwischen so weit wie möglich auf Spender mit Dauerauftrag. Vorteil: Die Organisation verschafft sich größere Unabhängigkeit von akuten Krisen und Medienberichterstattung. Nachteil: Sie kann von akuten Krisen und Medienberichterstattung kaum profitieren.
„Medico international“ sammelt gezielt für Geld für Notleidende auf den Philippinen. Weil die Organisation seit langem mit Partnern vor Ort an langfristigen Projekten arbeitet, befürchtet ihre Sprecherin nicht, dass Geld irgendwann nutzlos herumliegt.
Bürgerkrieg vs. Naturkatastrophe
Aber: „Wir bekommen viel zu wenig Spenden für Syrien“, sagt Katja Maurer. „Dabei ist das eine humanitäre Katastrophe von ähnlichen Ausmaßen wie der auf den Philippinen.“ Genau so sieht das auch Ulrike von Pilar von „Ärzte ohne Grenzen“.
So ist das eben. Ein Bürgerkrieg ist für Außenstehende verwirrender als eine Naturkatastrophe, häufig schwingen Ängste mit, wider Willen die „Falschen“ zu unterstützen. Deshalb ist es so wichtig, dass Hilfsorganisationen vertrauenswürdig sind. Denen sollte man dann aber auch überlassen, wofür sie Geld ausgeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau