Kolumne Macht: Ebola? Ach. Loriot lebt
Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Und die zuständigen Stellen sind völlig überfordert. Das fängt schon bei der medizinischen Erstversorgung an.
A nruf bei einem Chirurgen in Rente, irgendwo in Deutschland. Ein Arzt wird gesucht, der Flüchtlinge medizinisch versorgt. „Wie kommen Sie jetzt auf mich?“ – „Sie haben doch einen Schützenbruder, der hat Sie empfohlen.“ – „Nein, ich habe keinen Schützenbruder.“ – „Ach.“ – „Ich bin in keinem Schützenverein.“ – „Ach.“ Loriot lebt.
Pause. „Ja, aber könnten Sie denn morgen, von neun bis 21 Uhr?“ – „Was soll ich denn machen?“ – „Weiß ich auch nicht genau.“
Was bekannt ist: Flüchtlinge werden an einer Sammelstelle erwartet. Was nicht bekannt ist: Wo die Flüchtlinge herkommen, wie lange sie schon in Deutschland sind, ob sie hier überhaupt schon mal einen Arzt gesehen haben.
„Kommen auch Leute aus Westafrika?“ – „Das weiß ich jetzt nicht. Warum?“ Weil Ebola ein Thema sein könnte, vielleicht? Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Der Chirurg begibt sich am nächsten Morgen zur Sammelstelle. Und begegnet vollständiger Ratlosigkeit.
Während Westkinder erben, gehen im Osten viele leer aus. Wo 25 Jahre nach dem Mauerfall eine neue Grenze verläuft, lesen Sie in der //www.taz.de/%21146898%3E%3C/a%3E:taz.am wochenende vom 4./5. Oktober 2014. Außerdem: Bevor Schauspieler Udo Kier 70 wird, verrät er, wie er am liebsten sterben will. Und: Kinder an die Leine? "Verstoß gegen die Menschenwürde" oder "wunderbar und dringend nötig"? Der Streit der Woche. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen //taz.de/tazam-wochenende/%21112039%3E%3C/a%3E:Wochenendabo.
„Was wollen Sie hier? Flüchtlinge betreuen? Davon wissen wir nichts.“ Der Arztausweis wird vorgelegt. „Moment, ich muss mal eben den Führungsstab anrufen.“ Abgang, neuer Auftritt. „Nein, die wissen auch von nichts.“ Aber er könne ja mal weiterfahren. Bis zum nächsten Schlagbaum.
Auch dort: Ratlosigkeit. „Da müssen wir mal telefonieren.“ Pause, Abgang, Auftritt. „Der in der Führung wusste auch nichts damit anzufangen. Aber ich bringe Sie jetzt da erst mal hin.“ Das sei nicht nötig, meint der Chirurg. Wegbeschreibung genüge. Sicher? Sicher.
Damit Sicherheitskräfte nervös werden
Er fährt, wie abgesprochen, auf einen „bezeichneten“ Parkplatz. Wie ebenfalls abgesprochen: „sehr langsam, sehr vorsichtig“. Damit die Sicherheitskräfte keinen Anlass haben, nervös zu werden.
Dann begibt er sich zur medizinischen Aufnahmestation für Flüchtlinge. Bis vor kurzem war das ein Lagerraum gewesen. Der Chirurg untersucht dort nun Kleinkinder und schwangere Frauen. Und andere Leute. In dem ehemaligen Lagerraum gibt es nicht einmal ein Becken, um sich die Hände zu waschen.
Westafrika? Ebola? Ach, egal. Man freut sich ja schon, wenn man keinen Magen-Darm-Infekt weiter verbreitet. Sagt der Chirurg.
Dann: neue Verwirrung. Dieses Mal geht es um ihn. Soll er länger bleiben? „Nein, nein, wir haben jetzt jemand. Danke für Ihr Engagement. Schreiben Sie uns eine Rechnung.“
Wenig später klingelt das Telefon: „Wir sind völlig überfordert. Wir kriegen irgendwelche Anweisungen aus der Landeshauptstadt, und ob wir das umsetzen können, ist denen völlig egal. Ich wage ja kaum, Sie zu fragen: Wir haben Mittwoch und Donnerstag niemanden. Können Sie einspringen?“
Wofür? Woher? „Wissen wir nicht.“
Wofür genau? „Wissen wir nicht.“ Wie viele Flüchtlinge? „Wissen wir nicht.“ Woher? „Wissen wir nicht.“ Westafrika? „Da haben wir keine Informationen.“
Am nächsten Tag ist der Chirurg wieder an der Sammelstelle. Frage an einen der freiwilligen Helfer vom Roten Kreuz: „ Woher kommen die Leute? Aus Syrien, aus dem Irak, aus Westafrika?“ – „Das wissen wir nicht. Warum ist das wichtig?“ – „Wegen Ebola.“
Plötzlich scheint ein Ruck durch den Mann zu gehen. Der versucht, Genaueres per Funk zu erfragen. Vergeblich. Der Chirurg: „Gäbe es denn, wenn nötig, die Möglichkeit, Leute in Quarantäne zu isolieren?“ Achselzucken. Dann: Nein, eher nicht.
Der Chirurg untersucht alle Neuankömmlinge weiter auf alle üblichen Krankheiten hin. Ebola ist keine übliche Krankheit. Dem Chirurgen liegt an der Aussage: Wenn über seine Erfahrungen ein Artikel erscheint, dann muss darin stehen, wie groß sein Respekt vor allen ehrenamtlichen Helfern ist. Die bis zum eigenen Erschöpfungszustand nichts anderes getan haben, als zu versuchen, den Flüchtlingen konkret zu helfen. Wie übrigens auch die hauptamtlich Verantwortlichen.
Der Arzt hat weder Diskriminierung noch körperliche Misshandlung von Flüchtlingen beobachtet. Wohl aber die völlige Überforderung zuständiger Stellen. Jetzt erreichte ihn erneut ein Anruf: Ob er in den nächsten drei Tagen zur Verfügung stehen könne? Es gebe nämlich sonst niemanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure