Kolumne Lustobjekte: Ach, doppelberippter David!
Lange Unterhosen schmiegen sich längst nicht mehr nur um Beckhams wohlgeformte Waden. Und das ist gut so.
F rauen, die auf Schwänze starren. So könnte der Titel des Kassenschlagers lauten, der derzeit auf den Plakatwänden in allen großen Städten läuft. In der Hauptrolle: David Beckham. In der Nebenrolle: H&M. Und die Frage, die alle umtreibt: Ist sein Schwanz eine Socke?
Viel interessanter ist jedoch, warum Beckham nie in langen Unterhosen zu sehen ist. Es ist Winter und kalt, ja, friert der arme Mann denn nicht in seinem knappen Slip? Dabei ist die lange Unterhose durchaus Teil der Kollektion, die Herr Beckham selbst kreiert hat. Doch offenbar hat es nicht mal für eine Nominierung gereicht. Die lange Unterhose, ein gesellschaftliches Tabu. Alle machen es, keiner redet darüber. Wie Kacken oder Sex im Alter.
Ich fragte im Bekanntenkreis, die männlichen Bekannten sagten: nichts. Ich bohrte nach, ich machte sie betrunken, ich drohte mit Strip-Poker - und siehe da, sie knickten ein, einer nach dem anderen. Ja, riefen sie, wir tragen lange Unterhosen! Von Oktober bis April! Zum Schlafen gar! Weil wir nicht frieren wollen. Weil sie so bequem sind. Nur reden dürfen wir nicht darüber. Schmerzensmänner, die wir unter der Kälte leiden wie unter den hohen Ansprüchen der Frauen.
Franziska Seyboldt ist taz.de-Redakteurin.
Die lange Unterhose wird geächtet, munkelt man, weil sie einige Ehen auf dem Gewissen habe. Sie sei ein Liebestöter, verstoßen, ungeliebt. Bei einer Castingshow käme sie nicht mal in den Recall, schreibt Lena Jakat in der SZ. Und Philip Cassier begründet das schlechte Image der langen Unterhose auf Welt Online damit, dass deren Träger beim Turnunterricht in der Grundschule als "Mädchen" verhöhnt wurden. Hallo, Rollenklischee! Wir schreiben das Jahr 2012, Frauen tragen Hosen und Männer dürfen weinen. Höchste Zeit, dass auch die lange Unterhose resozialisiert wird.
Nicht nur, um veraltete Rollenbilder aufzubrechen. Nein, lange Unterhosen - gerne Schiesser, weiß, Doppelripp - sind sexy. Sie betonen, was schlabberige Boxershorts verstecken, schmiegen sich um wohlgeformte Waden, durchtrainierte Oberschenkel, knackige Hintern. Schwule Männer wissen das längst und nennen die warmen Beinkleider zärtlich Long Johns. Und Beckham trägt auf Wunsch seiner Gattin zu Hause ausschließlich lang, wegen der "altmodischen Gentleman-Ausstrahlung."
Ach, doppelberippter David! Socke hin oder her, er wandelt auf den Spuren von Robin Hood, Superman und Zorro, ihres Zeichens furchtlose Kämpfer der Armen und Entrechteten. Was kann daran schon falsch sein? Höchstens, dass wahre Helden keine Strumpfhosen tragen. Sondern … eben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus