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Kolumne Luft und LiebeBanges Sehnen, Freudentränen

Früher war nicht alles besser. Aber die Sexgedichte irgendwie schon. Wo bleibt die gute zeitgenössische Erotik-Lyrik?

Statt vögeln: Einfach mal was gegenseitig vorlesen. Bild: jonibe.de / photocase.com

M anchmal habe ich Angst, dass wegen der vielen kostenlosen Internetpornos das Genre „erotische Lyrik“ völlig den Bach runtergeht. Das wäre schade. Um die Welt davor zu retten, kaufe ich in Antiquariaten alles, was ich dazu finde, und stelle es bei uns zu Hause in die Bibliothek. Mein Beitrag zur Erhaltung der Sexkultur. Gegen das Vergessen.

Neulich hab ich wieder so ein Buch gekauft, es hieß „Des Weibes Leib ist ein Gedicht – Erotische Gedichte aus fünf Jahrhunderten“. Ich weiß nicht genau, welche fünf Jahrhunderte das gewesen sein sollen, in denen fast nur Männer Lyrik geschrieben haben, aber egal. Da reimt sich „Mund“ auf „rund“ und „Herzens Grund“, natürlich auch „Brüste“ auf „Lüste“, „geliebt“ auf „betrübt“ und „banges Sehen“ auf „Freudentränen“. Ich muss auch gleich weinen, so schön ist das.

Es finden sich in diesem Buch sogar ganz bekannte Zeitgenossen, die man da nicht erwarten würde. Raten Sie, von wem das ist: „… als ich, es nieselte, die Bronze leckte / und schwellenscheu die Fotzen heilig sprach, / als meine Finger läufig wurden / […] als ich ein Ohr besprang, um Ablaß bat: / Zu trocken sind die Engel und zu eng! / […] als Kitzel Krätze Fisch und Lauch / sich stritten, brach der Frühling aus: / Ich hab genug. Komm. Zieh dich aus.“ Ja, damals war er noch frisch, der Grass – oder soll ich sagen: der Günter? – und musste nicht seine letzte Tinte auswringen, wegen Israel und so.

Bild: taz
Margarete Stokowski

ist Autorin der taz.

Aber es gibt ja auch zeitgenössische, ganz neue erotische Lyrik. Dachte ich jedenfalls. Ich habe mir auf mein Smartphone eine App runtergeladen, die „Versaute Sex-Sprüche“ heißt. Da bekommt man kostenlos hundert Sprüche, durch die man sich dann so durchklicken kann.

Okay, Achtung, ich zitiere: „Geht die Frau dir auf den Wecker, doch die Möse ist ganz lecker, hau sie um und friere sie ein! Möseneis soll lecker sein!“ Und: „Popp sie hart, die alte Schlampe, schmier sie voll mit weißer Pampe! Und wenn sie sagt, sie will heut nicht, muss sie schlucken, bis sie bricht!“ Und: „Omi leidet große Not, Opi bumst die Omi tot!“

Hoppla. Was ist da los? Was sind das für Leute, die so eine App schreiben? Lebenslänglich inhaftierte Mehrfachvergewaltiger, die im Gefängnis einen Programmierkurs besuchen durften? Im App-Store gibt es dazu noch den Hinweis: „Wir wollen mit dem Inhalt dieser Datenbank niemanden beleidigen oder diskriminieren!“

Werte App-Betreiber, so läuft das leider nicht. Mal so rein inhaltlich: Da geht noch was. Ihr schreibt ja vor allem darüber, wie man Frauen, die man eigentlich nervig findet, möglichst gewalttätig dazu kriegt, Dinge zu tun, die sie eigentlich eklig finden oder von denen sie sterben. Oder beides. Das ist natürlich in der Tat „versaut“.

Unter uns: Ihr müsst das gar nicht machen. Ihr dürft auch Tischtennis spielen, wenn ihr das besser könnt. Aber bevor ihr das nächste Update für eure App schreibt, setzt euch doch vielleicht mal mit Onkel Günter zusammen und lasst euch das erklären, mit dem Liebemachen und so. Womöglich lässt er dafür die Politik in Ruhe. Es wäre eine Win-win-Situation – was ja guter Sex auch ist, übrigens.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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3 Kommentare

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  • C
    Claus

    Und werte Frauen,

    Da geht noch was. Ihr schreibt ja wie auch Frau Stokowski darüber, wie man Männer dazu bekommt, gleichermaßen versaute wie aber auch anspruchsvolle erotische Lyrik zu schreiben. Das setzt Emotionen als auch die sprachliche Fähigkeite voraus, diese auszudrücken.

    Also Dinge, mit denen sie sich bekanntermaßen schwer tun (hört man jedenfalls immer wieder).

    Warum schreibt ihr also nicht mal selber was? Etwas, wo auch mal das Wort "Schwanz" drin vorkommt?

    Keine Bange, Ihr dürft das.

    Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert

     

    P.S. Frau Roche, Sie sind hiermit nicht gemeint - ich glaube, Sie gehören eher in die Kategorie "App-Texter"

  • HO
    Hotel Ostoria

    "Wo bleibt die gute zeitgenössische Erotik-Lyrik?"

     

    Ist zwar keine Lyrik, aber auf die deutsche Übersetzung von "Shades of Grey" mussten die Ladies hierzulande lange und sehnsüchtig warten – und sind nun belohnt worden. Ein MUSS für Ihren erotischen Bücherboard, Frau Stockowski. Und auch für den nächsten SlutWalk.

    Denn eins ist klar wie Kloßbrühe, Frauen wollen niemals nicht Sex-Objekt sein. Da sei Mister Grey vor.

    ;)

  • BH
    Banjo Hansen

    Der wichtigste Artikel, denn ich heute gelesen haben.

     

    Oh du ahnst nicht, was ich leide,

    seh' ich eine schöne Frau,

    die den Steiß in gelber Seide

    schwenkt im Abendhimmelblau. (Brecht)