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Kolumne Luft und LiebeIst es der güldene Herrenslip?

Das wüste Leben des Günther J. ist letztlich nur so mittelwüst. Statt Orgien gibt es Schlaglöcher. Ist aber auch okay so.

„Ganz da hinten ist noch ein Schlagloch!“ Bild: dpa

A uf dem Weg zur Tür stolpert Günther über eine Frau im Zebrakostüm. „Renate, du alte Crackhure“, murmelt er. Die Frau ist so besoffen, dass sie es nicht mal schafft, ihn angemessen zu beschimpfen, sie kann gerade mal ein Auge halb öffnen, um zu sehen, dass er immer noch die roten Lackstiefel trägt, mit denen er gestern Abend im Aquarium getanzt hat, sehr ausdauernd für seine 56 Jahre.

Günther hält sich am Whiskyregal fest, will sich mit dem Ärmel die weißen Krümel von der Nase wischen, da bemerkt er, dass er gar nichts trägt, was Ärmel hätte. Er schüttelt den Kopf, geht zurück zum Badezimmer, um einen Bademantel zu holen.

Vor dem Panoramafenster zum Garten bleibt er stehen und kneift die Augen zusammen, die Nachmittagssonne blendet ihn. Ist das sein güldener Herrenslip, der in der Magnolie hängt? Er zieht den Bademantel so weit zu, dass man die Lippenstift-Aufschrift „We are ugly but we have the music“ auf seiner Brust nicht mehr lesen kann.

Bild: taz
Margarete Stokowski

ist Autorin der taz.

Dann hastet er endlich zur Tür und begrüßt die Reporterin der Zeitschrift die aktuelle mit seinem gewohnten Fernsehlächeln. Sie bemerkt Günthers neue rote Stiefel nicht gleich, findet aber, dass der Propellerhut ihm etwas Jugendlich-Frisches verleiht. Just in diesem Moment knallt der Kronleuchter von der Decke im Flur. Glassplitter überall. Verlegenes Räuspern, dann bittet Günther die Reporterin herein.

Würde man meinen. Wenn man die Titelseite der aktuellen sieht. Ein großes Foto von Günther Jauch, darunter steht: „Das hätte keiner gedacht: Günther Jauch – So wüst lebt er! Skandalöse Zustände im Villen-Viertel“. Ich hatte eine Reportage über Günthers liederliches Schmuddelgeheimleben erwartet und dazu vielleicht einen Servicetext „Wie veranstalte ich eine Orgie?“ mit praktischen Tipps, Dekovorschlägen, Rezepten und so. War dann aber gar nicht.

Mehr nicht. Manno

Wenn man die Titelstory nämlich liest, stellt man fest, dass es nur um die Straße vor Jauchs Haus in Potsdam geht. Da sind Schlaglöcher, um die Jauch herumfahren muss, damit an seinem Auto nichts kaputtgeht. Das ist sein „wüstes Leben“. Mehr nicht. Manno.

Aber: Es könnte eventuell noch einen Zacken wüster werden. Denn die aktuelle hat auch beobachtet, dass Jauch in letzter Zeit oft „unrasiert mit Bart, lässig in Jeans und Hemd“ auftritt und das könnte vielleicht darauf hindeuten, dass er „mittlerweile Gefallen an einem lässigen Stil findet“.

Zum Jubiläum meiner Kolumne, die heute das 25. Mal erscheint, kann ich es ja sagen: Ist bei mir auch so. Auch vor unserem Haus gibt es Löcher in den Wegen, und auch ich laufe manchmal unrasiert, in Jeans und Hemd rum. Lässig sowieso. Dass das als wüstes Leben gilt, finde ich schön. Man hat ja selbst irgendwann nicht mehr den Blick für solche Dinge.

„Sich dem Lotterleben in die Arme werfen“ heißt es bei Brecht. Ich hab mich da längst hingeworfen, mit großer Freude. Mir geht es gut in diesen Armen. Wenn Jauch in seiner neuen Lässigkeit dazukommen mag, werden wir für ihn noch ein Plätzchen finden. Komm her, Günther. Hier ist es schön und mindestens so wild wie in Potsdam. Also, wirklich, mindestens.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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10 Kommentare

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  • Wüstes Leben hin oder her. Die Bandbreite ist dabei individuell sehr verschieden. Ich finde, Sie geben auch unrasiert ein hübsches Bild ab.

  • T
    tazitus

    @oranier:

    ".."Die Aktuelle" (ich dachte gar nicht, dass es so etwas gäbe) attributiert also die Schlagloch-Gegend, in der Jauch wohnt, mit "wüst" annähernd zutreffend.."

     

    Das Nichtkennen ist doch die beste Voraussetzung, um zu assoziieren was andere attributieren. Lustig. Es wird empfohlen, einen Jahrgang von "die aktuelle" durch-zuarbeiten um zu ahnen, wie wüst es dort in der Redaktion zugeht und welche wüsten Assoziationen bei LeserIn geweckt werden sollen.

  • I
    ion

    "Das wüste Leben des Günther J. ist letztlich nur so mittelwüst. Statt Orgien gibt es Schlaglöcher. Ist aber auch okay so."

     

    "Schlaglöcher" ! Ist das nicht sexistisch ?!

    Interessant, dass die Autorin offenbar mit einer gewissen voyeuristischen Erwartungshaltung Proll-TV-Sendungen verfolgt, und dann auch noch davon schreiben mag; "Ist aber auch okay so." und verwundert nicht wirklich. „Ganz da hinten [in der taz-Redaktion] ist noch ein Schlagloch!“

  • K
    Kerstin

    Bisher erlebte ich diese Kolumne mediales Genussmittel zzgl. Überraschungspille: tobende Raserei, Untermauerung eigener Entschlossenheit, immer wieder aufflackerndes fröhliches oder garstiges Kichern bis hin zu Schwelgen in Utopien einer besseren Welt: alles schon gehabt. Ist super, ich freue mich auf die nächsten Jahre Stokowski.

     

    Gestern las ich einen "uralten" (und bereits bekannten) Text von ihr über das grausame Schönheits- und Verhaltensdiktat, das insbesondere jungen Frauen heutzutage von Zeitschriften "für Frauen" aufoktroyiert wird. Angesichts dessen, was die Töchter von Freundinnen heute erleben und der gesellschaftlich zwangsverabreichten "Feminismus ist doof und macht unattraktiv"-Haltung sind derartige Texte nicht Genuss- sondern wichtiges Gegenmittel, und sollten eigentlich in der letzten Deutschstunde vor den Ferien gelesen werden.

     

    ... und wenn Frau Stokowski dann irgendwann einen Best of Luft und Liebe Band herausbringt, ist ein Standardgeschenk für junge Frauen gefunden. Weniger nachdenken-müssen, mehr Zeit für genussvolles Lesen, hexenhaftes Kichern und dem Streben danach, dass Fotze als Kompliment verstanden wird: Für lebendige Frauen mit Tiefgang und Wärme.

     

    Solche wie die Stokowski eben. Herzlichen Glückwunsch zur 25. Kolumne.

  • U
    Urlauber

    Es beginnt so spannend und so vielversprechend!

    Schade, dass das nur die blühende Fantasie der Autorin ist.

    Frau Stokowski, haben Sie schon daran gedacht, nicht nur Kolumnen, sondern richtige Bücher zu schreiben? So ein Buch hätte ich gerne als Urlaubslektüre ans Meer genommen. Es muss nicht unbedingt über Günther J. sein! ;-)

  • T
    T.V.

    der herr onanier oder so hat offensichtlich zu wenig getrunken für diese Kolumne!

  • SG
    Schmidt Georg

    naja, G Jauch und T Gottschalk, haben sich mühsam vom 3.Programm des bay Rundfunks hochgearbeitet, kann mich noch dran erinnern, wie sie sich in einer Nachmittagssendung über die Farben udn Muster ihrer Unterhosen unterhalten haben! Unglaublich wie tief deutsche Unterhaltung gesunken ist-wenn ich das an Kullenkampf-Frankenfeld-Roesenthal denke !

  • S
    Schmuddel

    Angeberin (neidischer Typ) !

  • V
    viccy

    Dass die Schlagzeilen dieser Oma-Blättchen viel mehr Skandal versprechen, als der Text schließlich hält, ist aber auch eher eine Binsenweisheit. Aber nun ja, ein Artikel mehr in der Veröffentlichungsliste von Frau Stokowski. Und es ging sogar mal nicht um das Grundübel unserer Zeit, den grassierenden Sexismus, der die Lebensqualität vieler Menschen so spürbar mindert.

  • O
    oranier

    "Zum Jubiläum meiner Kolumne, die heute das 25. Mal erscheint"

    Wenn die anderen Nummern so sind wie diese, sind es genau 25 "wüste", weil öde, Kolumnen zuviel.

     

    Das Wörterbuch (DWDS) sagt nämlich zu "wüst":

     

    1. öde, unbebaut, leer, (Beispiele: eine wüste Gegend, - aber die Erde war wüst und leer

    (Das Substantiv "die Wüste" kommt bestimmt nicht von den Orgien, die dort stattfinden)

     

    "Die Aktuelle" (ich dachte gar nicht, dass es so etwas gäbe) attributiert also die Schlagloch-Gegend, in der Jauch wohnt, mit "wüst" annähernd zutreffend.

     

    Erst unter 3. erscheint im Wörterbuch, mit dem ausdrücklichen Hinweis "umgangssprachlich" (!)

    ausgelassen, toll, ausschweifend, sittenlos

     

    Dass sich die öde Fantasie der Kolumnistin direkt hierauf stürzt, sagt eher etwas über sie aus als über die "aktuelle".

     

    Es ist aber wohl zu wünschen, dass jene in ihrer Kolumne so weiter macht, um so tendenziell den Boulevard, wo er noch halbwegs korrekt schreibt, auf ihre umgangssprachliche Diktion herabzuziehen.