Kolumne Lost in Trans*lation: Berlin, du Unsichere
Die LGBTI-Community feiert gerade 50 Jahre Widerstand gegen die homophobe Staatsgewalt. Ausgerechnet jetzt müssen wir Angst haben.
Ausgerechnet im Pride-Monat kam es in Berlin zu drei homophoben Übergriffen. Erst wurde ein lesbisches Paar tagsüber auf der Straße von einem Mann getreten und geohrfeigt. Dann wurde eine lesbische Frau von einer Gruppe Männer belästigt und angegriffen.
Der Übergriff, der am meisten Aufsehen erregt hat, war aber zweifellos der, der sich in einem libanesischen Imbiss am Kottbusser Tor in Kreuzberg ereignete. Ein homosexueller Ägypter berichtete auf Facebook: Er sei am 15. Juni mit einer Freundin in das Restaurant gegangen und habe auf Arabisch bestellt. Ein Angestellter habe ihm ein falsches Sandwich gegeben, und als der Mann es zurückgehen ließ, sei der Mitarbeiter aggressiv geworden. Er habe ihn als „verweiblicht und nuttig“ beschimpft und sei ihm gefolgt, als der Kunde den Imbiss verlassen habe. Dort habe der Angestellte minutenlang auf ihn eingeprügelt.
In seinem Statement auf Facebook schrieb der Mann später, er sei angegriffen worden, weil er Arabisch gesprochen habe. Wenn er Englisch oder Deutsch gesprochen hätte, so seine Vermutung, wäre es nicht zu dem Übergriff gekommen. Die Polizei sei erst 15 Minuten später eingetroffen. Warum geht der Mann davon aus, dass er angegriffen wurde, weil er Arabisch gesprochen hat? Wohl, weil dieser Angestellte blind vor Wut war, sich dachte: „Jemand, der Arabisch spricht, kann nicht schwul sein.“
Dass sich diese Angriffe zum 50. Jahrestag des Stonewall-Aufstands ereigneten, ist besonders bedenklich. Warum LGBTI-Vereine zu den Übergriffen schwiegen, kann ich mir nicht erklären. Dabei begann genau vor 50 Jahren der selbstbewusste Widerstand gegen die patriarchale und staatliche Gewalt in New York. Auch in der Presse haben die homophoben Angriffe während des Pride-Monats nicht ausreichend Widerhall gefunden. Über den Vorfall in dem libanesischen Restaurant wurde auch in dieser Zeitung nicht berichtet.
Dabei sind das keineswegs Einzelfälle. Im vergangenen Jahr wurden dem Berliner Anti-Gewalt-Projekt Maneo mehr als 380 Übergriffe auf queere Menschen gemeldet. Das ist ein neuer Rekord – und man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer weit höher ist.
Ist also Berlin für LGBTI-Personen nicht mehr sicher? Muss ich mir als trans Frau, Journalistin und Feministin Sorgen machen, wenn ich in dieser Stadt lebe? Seit diesen Angriffen bin ich angespannt, wenn ich auf die Straße gehe. Ich steige in keinen Bus ein, der leer ist oder in dem nur Männer sitzen. Abends bleibe ich nicht bis in die späten Stunden draußen. Nachts steige ich nicht in die U-Bahn, wenn ich alleine unterwegs bin.
Doch warum sollen LGBTI-Personen, Frauen und Kinder Vorsichtsmaßnahmen treffen, wenn sie auf die Straße gehen? Dass wir fürchten müssen, auf Berlins Straßen männlicher Gewalt, Belästigung, Vergewaltigung oder Hassverbrechen ausgesetzt zu sein ist eine Schande.
Aus dem Türkischen: Elisabeth Kimmerle
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